Titelfoto © 2005 Carola Hipper
Coverillustration und -gestaltung: Carola Hipper
ISBN 978-3-935505-93-2
Papierformat: 13,5 x 21,5 cm
524 Seiten
Schriftart: Palatino Linotype 11
Qualität/Ausstattung: Hardcover (glanzfolienkaschiert),
Rundrücken, Fadenheftung
CLOCKWISE
REISE durch TRAUM und ZEIT
I. Buch der Terra-lucida-Saga:
Das Magische Mädchen
Copyright © 2012 Carola Hipper
In einem Land jenseits unserer Wirklichkeit bestimmen blutige Kriege die Geschicke der Menschen und ihrer Verbündeten. Und doch gibt es Hoffnung, denn das magische Kind, das den Schlüssel zu einer anderen Welt in sich trägt, wird in der Lage sein, die Grenzen von (T-)Raum und Zeit zu überwinden.
Seit vielen Zeitaltern erzählen sich die Wolkenkinder die Geschichte von Orvelyn, dem Magischen Mädchen, das auserwählt sei, die Weltenordnung zu erneuern.
Wir schreiben das Jahr 2000, als die zwölfjährige Emma Deutschland verläßt, um fern der Heimat ein Internat zu besuchen. Schon auf der Zugreise nach dem sagenumwobenen Transsylvanien spürt das Mädchen die Anwesenheit geisterhafter Wesen, die den Zug in eine andere Welt zu tragen scheinen. Kaum ist Emma auf der Burg ihrer geheimnisvollen Großmutter angekommen, überschlagen sich die Ereignisse: Sämtliche Wesen, denen sie in der Zwischenwelt Thalamarrh begegnet, scheinen nur ein Ziel zu kennen: Terra lucida, das vergessene Land. Ehe Emma begreift, was mit ihr geschieht, befindet sie sich, gemeinsam mit ihrem Freund und Begleiter Paddy, auf einer Irrfahrt durch das Land jenseits der Wirklichkeit. Doch Emma ahnt nicht, daß allein das Magische Mädchen berufen ist, den Fluch des Thanatos zu brechen und die Weltenbarriere zu überwinden.
Wir lieben die traditionelle Rechtschreibung!
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Der Clockwise-Zyklus ist eine Mischform aus High-Fantasy
und All-Ages-Jugendbuch: Der Haupthandlung ist jeweils die sogenannte »Arenga« vorgeschaltet, eine Mythensammlung im High-Fantasy-Stil, die die Geschichte Terra lucidas beleuchtet und die Hintergründe für die Haupthandlung liefert.
Dabei bleibt es der Phantasie des Lesers überlassen, ob er Terra lucida als Traum- oder als Parallelwelt auffassen möchte.
Die Erlebnisse der Titelheldin Emma Clock [Haupthandlung] vollziehen sich in der Gegenwart, wobei es immer wieder Überschneidungen mit der Traumebene »Terra lucida« gibt. Diese Überschneidungen werden führen im weiteren Verlauf des Abenteuers zu einer Verschmelzung von Traum- und Realitätsebene.
Sprache [Arenga]: biblisch, "gesetzt", stellenweise pathetisch
Sprache [Haupthandlung]: einfach, unverschnörkelt, leicht verständlich, lebendige Dialoge erwecken die Figuren zum Leben.
Hier geht es direkt zur englischen Fassung von Clockwise
Leseprobe aus Kapitel 6:
[…] Träumte sie? Ja, so mußte es sein. Emma hatte sich in ein dunkles, muffig riechendes Kellergewölbe hineingeträumt, und nun rannte sie in wilder Panik die engen, steinernen Gänge entlang. Etwas war ihr auf den Fersen. Kalter Schweiß perlte von ihrer Stirn, das kastanienbraune Haar wirbelte wild durch die Luft, und sie lief und lief und lief.
Der Kellergang schien kein Ende zu nehmen, nirgends eine Abzweigung, nirgends ein Fenster oder eine Treppe. Sie rannte weiter und weiter durch das pechschwarze Nirgendwo, schneller und schneller hastete sie, fiel hin, schlug sich das Knie blutig, stand wieder auf, eilte weiter und weiter, dem Grauen der Nacht trotzend.
Immer wieder blickte sich Emma gehetzt um, hinter ihr die blutroten Augen eines schrecklichen Wesens, das im Gefolge einer eisig brennenden, schwarzen Flamme hinter ihr herjagte. Schon spürte Emma die dräuende Kälte näher kommen, doch war sie zu erschöpft, um noch schneller zu laufen, noch schneller vor der dunklen Bedrohung zu fliehen.
Endlich, da vorn! Eine Tür! Hastig stürzte das Mädchen darauf zu, öffnete sie, schlüpfte hindurch und schlug sie mit letzter Kraft hinter sich zu. Emmas Herz raste, ihr Atem durchstieß das feuchtschwere Dunkel in kurzen Abständen. Sie drehte den rostigen Schlüssel im Schloß und lehnte sich mit dem Rücken gegen die schützende Tür. Für die Zeitspanne eines unendlich langsamen Herzschlages fühlte sie sich sicher. Zumindest hatte sie Zeit gewonnen.
Vor ihr lag eine hölzerne Wendeltreppe, die von einem verrosteten Eisengeländer gestützt wurde. Vorsichtig spähte das Mädchen hinab in die Tiefe. Anstelle eines festen Bodens erblickte Emma am Sockel der Treppe eine dampfende, bläulich schimmernde Masse. Der Untergrund war nicht zu erkennen. Sie bemühte sich, ihren Atem zu dämpfen. Behutsam setzte sie einen Fuß auf die erste Stufe der wackligen Wendeltreppe. Die Treppe gab unter ihrem Körper nach und schwankte unheilverkündend. Sie stemmte die Hände auf das rostige Geländer und ließ sich vorsichtig abwärts gleiten, während die Treppe unter ihrer Last schaukelte wie ein morscher Fahnenmast im Wind.
Unten angelangt, betrat Emma den kalten, mit einer moosartigen Masse bewachsenen Steinboden. Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß sie nur ein Nachthemd am Leibe trug. Auch trug sie weder Schuhe noch Strümpfe, die sie vor der aufsteigenden Kälte hätten schützen können. Über dem glitschigen Untergrund schwebte ein blaßblauer Nebelteppich, so daß das Mädchen nicht sah, wohin es trat und sich nur langsam, Schritt für Schritt, vorwärts tasten konnte. Hoch über ihrem Kopf hörte Emma ein lautes Pochen wie von Schlägen einer mächtigen Faust, die gegen eine verschlossene Tür hämmerte. Immer lauter und lauter drang das Pochen an ihr Ohr. Emma ahnte, daß es kein Entkommen gab. Doch was war das? Wieder stand sie vor einer Tür! Als sie die Tür öffnete und den dahinter verborgenen Raum betrat, durchstieß ihr Atem die Dunkelheit mir kurzen Salven. Wie ein warmer, weißer Nebel schälte sich ihr Atem von der eisigen Kellerluft. Das Pochen dröhnte in ihrem Kopf wie der Zorn einer entfesselten Gottheit. Sie schloß die Tür und betrat einen langgezogenen Raum. An seinen Längsseiten erblickte das Mädchen eine Reihe von vergitterten Einzelverschlägen. Dieser düstere Ort erinnerte Emma an ein Verlies. Am anderen Ende des Raumes brannte, mit blauer Flamme, eine einsame Fackel. Darunter befand sich ein silberner Haken, an dem ein Schlüsselbund mit sechs gläsernen Schlüsseln baumelte.
Vorsichtig schritt Emma an den ersten Zellen entlang, die aussahen wie übergroße Vogelkäfige. Am Fuße einer jeden Zelle war ein kleines Schild angebracht. Auf dem ersten Schild, das, wie Emma vermutete, den Insassen der Zelle bezeichnete, las sie das Wort »Androgyn«. Da sie aber mit diesem Ausdruck nichts anfangen konnte, nahm sie an, daß dies der Name des Inhaftierten sei. Sie wandte sich nach rechts und las auf dem nächsten Schild »Bogumile«. Für einen kurzen, unaufmerksamen Moment war Emma stehengeblieben. Da schnellte eine weiße, knöcherne Hand zwischen den Gitterstäben hervor und packte ihren Arm. Das Mädchen erschrak fürchterlich, es versuchte, sich loszureißen. In Sekundenschnelle formte sich aus den Umrissen der nebelhaften Stille das hohlwangige Gesicht eines verwahrlosten Greises, der es aus leeren, hilfesuchenden Augen ansah:
»Rette uns, Mädchen! Bitte, hilf uns!« flehte er, doch Emma riß sich von ihm los. Dabei verlor sie das Gleichgewicht, und ihr Körper wankte rücklings gegen die Zelle des »Androgyn«. Da spürte sie den eiskalten Atem des Häftlings in ihrem Nacken. Sie wirbelte herum. Im Dunkel der Zelle gewahrte sie ein Zwitterwesen, das auf seinem Rumpf zwei Köpfe trug.
»Hab keine Angst, Mädchen! Lauf nicht davon! Rette uns! Ohne dich sind wir verloren!« riefen eine männliche und eine weibliche Stimme zugleich. Mit einer Mischung aus ohnmächtigem Unglauben und nackter Furcht strauchelte Emma weiter.
»Weißzellvampir«, »Phagozyt«, »Blutnymphe« las sie auf drei weiteren Schildern. Es war, als habe jemand die Gefangenen an diesem hoffnungslosen Ort nicht nur eingesperrt, sondern wie auf dem Jahrmarkt zur Schau gestellt.
Der Steinboden war eiskalt. Emma spürte ihre Füße kaum mehr. Aus dem blauen Nebel, der über dem kargen Boden schwebte, lösten sich geisterhafte Hände, die sie lockten, weiterzugehen. Andere wiederum versuchten, nach ihren Knöcheln zu greifen und sie zu umklammern, als wollten sie das Mädchen an diesem Ort festhalten. Mit schauerlicher Kälte strich das neblige Blau über Emmas Körper, als sich ihre Atmung verlangsamte. Sie näherte sich der letzten Zelle. Dort las sie die Aufschrift »Lästrygone«.
In einer verborgenen Nische gleich hinter der letzten Zelle stand ein kleiner Holzschemel. Sie nahm die Fackel von der Wand, trat an das Gitter heran und ließ den Lichtschein durch das Verlies wandern. Die unruhig tanzenden Flammen warfen das Zerrbild eines hochgewachsenen Mannes an die kahle Steinwand. Der Gefangene selbst war nicht zu erkennen. Die Umrisse seiner riesenhaften Gestalt waren von einem weißblauen Nebeldunst verhüllt. Emma wandte sich ab und begann, die hintere Begrenzung des Gewölbes nach einem zweiten Ausgang abzusuchen – vergeblich! Was sollte sie nur tun? Über ihrem Kopf dröhnte gedämpft und wie aus weiter Ferne das bedrohliche Pochen unsichtbarer Fäuste, die im Rhythmus eines schlagenden Herzens gegen verschlossene Türen hämmerten. Umkehren und zurückgehen konnte sie auf keinen Fall! Verstohlen spähte Emma in die Zelle des Lästrygonen.
»Ist dir kalt?« fragte plötzlich eine Stimme aus der Finsternis. […]
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Leseprobe aus Kapitel 14:
[…] Sie stand auf und trat ans Fenster. Draußen war es tiefe Nacht. In der Ferne läutete eine Turmuhr die Mitternachtsstunde ein. Der Vollmond warf sein blaßblaues Licht in den Raum. Emma öffnete das Fenster, um die frische, klare Nachtluft ins Zimmer zu lassen. Von Ferne hörte sie das gedämpfte Heulen der Wölfe. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich weit aus dem Fenster. Der reine Atem der Nacht durchströmte ihre Lungen mit einem Hauch von vergossenem Blut, der diesem Ort anzuhaften schien.
Da! Ein Geräusch! Es kam aus einem der Fenster etwa zwei Stockwerke unterhalb des ihren. Die Burg lag an einem steilen Abhang. Auf das Geräusch folgte ein leises Knarren und Quietschen. Emma ließ ihren Blick durch die Dunkelheit wandern. Jemand hatte ein Fenster geöffnet. Offenbar war sie nicht die einzige, die den Mondschein genoß. Mit starrem Blick verfolgte Emma das nächtliche Spektakel, das sich ihr bot: zuerst sah sie einen großen, dunklen Zylinder, der sich langsam aus dem Fenster schob. Ein paar Sekunden lang rührte sich nichts. Emma hielt den Atem an. Das war doch nicht etwa ... oder doch?
Die dunkle Silhouette, die sich in der Tiefe langsam aus dem Fenster schob, glich der Statur des Sir Amatus. Doch sein Gesicht war nicht zu erkennen. Emma sah den schmalen Rücken eines schwarz gekleideten Mannes, der sich über die Brüstung lehnte. Er wagte sich bedrohlich weit nach vorn, schon wollte Emma ihm ein warnendes Wort zurufen, da bemerkte sie, daß die schwarze Gestalt – wie befreit von den Gesetzen der Schwerkraft – aus dem Fenster hinaus ins Freie glitt. Emma starrte hinab in den Abgrund. Die Mauer war an dieser Seite der Burg aus glattem Stein gefertigt, es gab kaum Vorsprünge, die dem verwegenen Abenteurer hätten Halt bieten können.
Plötzlich löste sich der schwarze Mantel von der Gestalt des Fremden. Emma traute ihren Augen kaum. Ein Paar riesiger Flügel breitete sich über dem Rücken des unheimlichen Kletterers aus! Auf einem der Flügel sah Emma ein kleines, im hellen Mondenschein grün aufleuchtendes Zeichen – ihr war, als sei es ein kleines Kreuz oder ein vierblättriges Kleeblatt.
Mit dem Gesicht voran schwebte die schwarze Gestalt langsam, wie von unsichtbaren Händen getragen, an der steilen Mauer entlang in den Abgrund hinab. Emma wagte kaum zu atmen. Da! Die Gestalt löste sich von der Mauer! Sie fiel, nein, sie glitt wie ein Drachenflieger abwärts in die Dunkelheit! Zwei, drei, vier Flügelschläge, dann war es totenstill. Die Stille dauerte nur wenige Augenblicke an. Emma hörte den schweren, schwarzen Mantel, den die Gestalt abgestreift hatte, in die Tiefe gleiten. Aus seinem Umriß löste sich eine Schar Fledermäuse, die eilig davon flatterten. Emma schloß das Fenster. War es wirklich Sir Amatus, der sich vor ihren Augen verwandelt hatte? Vielleicht hatte sie sich das alles nur eingebildet? War diese seltsame Begebenheit womöglich eine Sinnestäuschung oder ein bloßes Schattenspiel gewesen? […]
Wir lieben die traditionelle Rechtschreibung!
Leseprobe aus der Arenga
(Heldensagen Terra lucidas):
III. Mordogar und das Orakel von Volon
Layos von Argant kehrte als strahlender Held in die Heimat zurück. Die Kunde von seinen Heldentaten auf dem goldenen Kontinent verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und bald zogen Eroberer und Piraten aller Länder des Nordens aus, es ihm gleich zu tun und die Schätze Auroriens zu entdecken. Zahllose Schiffe verließen ihre Heimathäfen, doch nur wenige fanden den Weg in den fernen Süden. Einige mußten vor der Zeit umkehren, weil ihnen die Vorräte auszugehen drohten, andere zerschellten in der tobenden See. Die Jahre gingen ins Land, doch keiner der Weltenumsegler kehrte in die Heimat zurück. Die sagenhaften Reichtümer des aurorischen Königshauses wurden zur Legende. Immer mehr Abenteurer zogen aus, das goldene Eiland zu erobern. Die wenigen, die die Küste Auroriens erreichten, wurden von der vedayanischen Armada vernichtet. So kam es, daß die Geschichten, die sich um das ferne Aurorien rankten, langsam zum Mythos wurden. Der Mythos aber gebar immer mehr unglaubliche Legenden um Auroriens Heiligtümer.
Nun wollte es das Schicksal, daß das Zeitalter Androchat, das als die Epoche der Weltenumsegler galt, eine Vielzahl von Kriegen über die nördlichen Kontinente brachte. Mit Anbruch des Zeitalters Bandachat im Jahre 10312 kehrte endlich Frieden ein, doch es war ein scheinheiliger Friede, dem kein Volk nördlich des Äquators trauen wollte. Die Einwohner der südlichen Hemisphäre waren es müde, ihr Land gegen immer mehr und mehr feindliche Eroberer zu verteidigen. Die Völker des Nordens aber waren führungslos.
Man schrieb das Jahr 10933, da begann der grausame Mordogar, Herrscher über Luanór, die Grenzen seines Königreiches gen Osten auszudehnen. Es brauchte nur wenige Jahre, bis er die Fürsten der Nachbarländer ausnahmslos entmachtet und sich ihre Ländereien angeeignet hatte. Mordogars Reich dehnte sich weit über das östliche Arboratien bis nach Saragoz aus. Doch sein Eroberungswille kannte keine Grenzen. Bald hatte er das gesamte Nordland unterworfen, die vereinnahmten Territorien hielt er mit seinen Truppen in Schach. Es folgte die Eroberung der südlichen Kontinente. Binnen weniger Jahre erstürmte Mordogar nahezu die gesamte südliche Hemisphäre. Die Staatsoberhäupter der besiegten Länder ließ der Tyrann gnadenlos hinrichten. Mordogar machte keine Gefangenen: Gleich, ob Sultan, König oder Großkhan, sie alle waren des Todes, sobald auf den Zinnen ihrer Burgen, Schlösser und Paläste das Banner Luanórs wehte.
Im Jahre 11106 nannte sich Mordogar »Imperator über das vereinigte Weltreich«. Lediglich zwei Königreiche hatte er nicht unterwerfen können. Es waren das vedayanische Reich auf der Großinsel Aurora und die kleine, aber uneinnehmbare Eisinsel Asturien nahe dem Nordpol. Während Asturien im hohen Norden hartnäckig Mordogars Belagerung standhielt, blieb die Südseeinsel Aurora unauffindbar für die Schiffe des Imperators. Alle anderen Königreiche hatte der Despot bereits unterjocht und ihre Völker dem gnadenlosen Gesetz der Tyrannei unterworfen. Sein Machthunger aber, blieb unstillbar. Mordogar trachtete nach dem uralten Wissen, das dereinst von den Galaxanten zur Erde gebracht worden war. Das Wissen der Altehrwürdigen ruhte, verborgen in einer goldenen Lade, auf der verschollenen Insel Aurora, gut gehütet und streng bewacht vom vedayanischen Volk.
Im Herbst des Jahres 113 des zwölften Jahrtausends begab sich der Imperator nach Arcardor, um das Volonische Trigonon zu befragen. Das Orakel bestand aus drei weisen Frauen, die aus den Wassern der drei magischen Brunnen von Volon die Zukunft lasen. Die Prophezeiung, die Mordogar dem Orakel entlockte, lautete: »Wenn du ausziehst, das vedayanische Reich zu erobern, so wirst du Unsterblichkeit erlangen, und fünf Kontinente sollen deine Saat tragen.«
Der Imperator frohlockte, glaubte er doch, er werde die Vedayana in der Schlacht besiegen und durch die Eroberung der Großinsel Aurora Weltruhm und damit Unsterblichkeit erlangen. Mit Einnahme der Insel werde er die vedayanische Königin bezwingen, sie gewaltsam zur Frau nehmen und mit ihr fünf Erben zeugen, die die fünf größten Kontinente in seinem Namen verwalten würden, so glaubte er. Ja, Mordogar war sich sicher, daß der Orakelspruch ein Wink der Götter sei. Mit einer Flotte von hundert Schiffen zog er gen Süden aus, das Eiland zu erobern. Ein lebhafter Wind trieb die Abenteurer vorwärts, und bald umschifften sie glücklich den Kontinent Atlanada. Von der südlichsten Spitze Atlanadas segelten sie weiter in nordöstlicher Richtung. Viele Mondwechsel gingen dahin, bis Mordogars Krieger Land sichteten.
Die Silhouette einer prachtvollen Insel, umgeben von purpurrotem Wasser, erschien am Horizont. Vom Himmel fiel das bizarre Licht einer blaßgrünen Sonne hinab auf einen tiefblauen Sandstrand. Das fremde Eiland war zum Greifen nah, schon glaubten sich die Männer am Ziel ihrer Reise. Da gewahrten sie plötzlich einen wundervollen Gesang. Selbst der Gott des Himmels schien den Atem anzuhalten, so herrlich war die Melodie, die sanft über den Ozean hinschwebte.
Nicht lange, da erblickten die Seefahrer die Verursacherin der engelgleichen Klänge: Auf einem Felsvorsprung hoch über dem Wasserspiegel saß die wunderbare Sängerin und entbot den Abenteurern einen wahrhaft bezaubernden Anblick. Nahe einer weißen Palme thronte die schönste Tochter des Pallas, die Weltengöttin Astrahar. Die Göttin der Liebe badete ihre milchweiße Haut im Sonnenlicht. Zu ihren Füßen kniete der Jüngling Orionos, auf seinem Schoß eine silberne Harfe, der er mit zarter Hand eine vollkommene Melodie entlockte. Orionos, dessen jungendliche Schönheit über alle Sphären hinweg gerühmt wurde, weilte zu Füßen seiner Göttin und lauschte ihrem Gesang.
Astrahar hatte unlängst den Götterberg Pallas verlassen, nachdem sie ihren Gemahl, den Kriegsgott Wodanorr, beim Liebesspiel mit der Blutnymphe Ninivéh überrascht hatte. Aus Rache begab sich die Göttin hinab auf die Insel Heliós, der Heimat des Orionos, um die Schönheit des Jünglings zu bewundern. Wie zu erwarten, vermochte Orionos dem unvergleichlichen Charme der Astrahar nicht lange zu widerstehen. Er verliebte sich in die Schöne und schwor ihr ewigwährende Treue. Das Paar begab sich zu einer kleinen, felsumrandeten Bucht. Astrahar lockte den unschuldigen Knaben hinauf zur höchsten Stelle des Felsenparadieses, um ihn unter freiem Himmel zu verführen.
Nachdem der schönste Liebeseifer abgeklungen war, zückte der Knabe seine Harfe, um seine Angebetete mit seinem Spiel zu erfreuen. Von der Küste der Insel Heliós sandten die Liebenden ihre bezaubernde Melodie hinaus auf den Ozean.
Astrahar ahnte nicht, daß ihr Gemahl in Eifersucht entbrennen und ihr bald nacheilen werde. Tatsächlich ließ der Betrogene, angelockt von den untrüglichen Klängen der Liebe, nicht lange auf sich warten. Nun war Wodanorr nicht allein der Gott des Krieges, er war auch der Beherrscher der Winde. Ihn zu erzürnen, bedeutete: Sturm zu säen. Als nun der zornige Wodanorr seine Gemahlin in zärtlicher Umarmung mit dem schönen Orionos sah, rief er seinen Bruder Nessodon, den Erdenerschütterer und Gebieter über alle Weltmeere, um Hilfe an. Wodanorr entfachte die Winde. Er beschwor einen heftigen Sturm, der bald zu einem Orkan anschwoll und Mordogars Schiffe zurück ins offene Meer trieb. Sein göttlicher Bruder Nessodon ließ zur selben Zeit die Erde erbeben und eine gewaltige Flut aufkommen. Die Schiffe der königlichen Flotte waren dem Wüten der Elemente hilflos ausgesetzt. Meterhohe Wellen bäumten sich vor ihnen auf, bis sie schließlich zerschellten.
Des Tyrannen stolze Armada war zerschlagen. Lediglich fünf Schiffe überdauerten den Sturm. Mordogar selbst wurde ins Meer geschleudert und von den Fangarmen eines schrecklichen Seeungeheuers erfaßt. Sein sterblicher Leib wurde mit dem Gift des Scheusals infiziert, in fünf Teile gerissen und mit der nächsten Flut an Land geworfen.
Den Jüngling Orionos ereilte ein nicht weniger grausames Schicksal. Er wurde von den erzürnten Winden des Wodanorr erfaßt, hoch in die Lüfte gewirbelt und bis auf das nahe Festland getragen. Wodanorr schleuderte seinen Rivalen in den Krater des Vulkans Shogu Albagran, in dessen Glut er unter unermeßlichen Qualen verbrannte. Die schöne Astrahar aber ließ sich von den aufgebrachten Wellen davonspülen und bis an die Küste Arrhaviens tragen. Dort ging sie an Land, und sann auf Rache.
Indes waren die sterblichen Überreste des Imperators an den Strand von Heliós gespült und von zwei tentoridischen Pilgern aufgefunden worden. Nachdem die Zauberkundigen den entstellten Leichnam eingehend untersucht hatten, kamen sie zu dem Schluß, daß die Fangarme eines Riesenkalmars ein lähmendes Gift in die Blutbahn des Königs gebracht haben mußten. Die Weisen nahmen eine Probe von der Haut des Unglücklichen, um den Giftstoff einer weiteren Prüfung zu unterziehen. Einer der Zauberer marschierte zum Inneren der Insel, um Kräuter und Wurzelwerk zu beschaffen, während der andere ein Feuer entzündete und das geheime Ritual vorbereitete. Als sich die Abendsonne gen Horizont neigte, trockneten die Tentoriden die Hautprobe des Verunglückten, bestrichen sie mit einem Kräutersud und warfen sie dann ins Feuer. Die Flamme loderte hoch auf und färbte sich für den Bruchteil einer Sekunde pechschwarz. Die Zauberer blickten einander entsetzt an.
»A kata luton!« rief der Jüngere der beiden Männer voller Schrecken aus. Der Ältere starrte entgeistert in die Flamme. Nach einer kleinen Weile hatte er sich wieder gefaßt und sagte:
»Es ist Haoma, das schwarze Gift!«
»Das Elixier der Unauflöslichkeit!« entfuhr es dem anderen. »Was sollen wir tun?«
»Gar nichts können wir tun«, sagte der Ältere und schüttelte resignierend das Haupt. »Nach sieben Mondwechseln werden seine Körperteile sich vereinigen, und er wird auferstehen als ein Leib.«
»Das Gift macht ihn zur Verkörperung der dunklen Kräfte! Wir müssen seine Auferstehung verhindern!« ereiferte sich der Jüngere.
»Das, mein Freund, liegt nicht in unserer Macht«, antwortete der Alte. Er rieb sich sorgenvoll den Bart. Nach kurzem Nachsinnen schien ihm ein Einfall gekommen zu sein: »Vielleicht gibt es eine einzige Möglichkeit, die Katastrophe abzuwenden. Wir wickeln seine Überreste in Leinen, tränken es mit dem Nektar der Todesliane und geben eine Prise Stramonium hinzu. Ja, so könnte es funktionieren! Die fünf Körperteile des Untoten lassen wir in fünf verschiedene Kontinente bringen und in geheiligter Erde vergraben. Es ist ein Experiment, doch wir sollten es wagen!«
»Einverstanden«, nickte der Jüngere, »dann ans Werk!«
Im fernen Arrhavien hatte die erzürnte Göttin Astrahar ihren Racheplan geschmiedet. Sie näherte sie sich der verhaßten Nebenbuhlerin in der Gestalt einer prächtigen Stute. Das Pferd war so anmutig, daß die Nymphe der Verlockung nicht widerstehen konnte: Sie schwang sich auf seinen Rücken, doch kaum war sie aufgesessen, ging das Tier mit ihr durch. Astrahar trug die schöne Nymphe an den Rand einer Schlangengrube und stieß sie hinein. Ninivéh wurde von tausend Natternbissen getötet.
Als nun Wodanorr vom Schicksal seiner Geliebten erfuhr, brachte er die Winde gegen seine göttliche Gemahlin auf. In ihrer Not rief Astrahar ihren Vater Tarranorr um Beistand an. Der Göttervater sandte sogleich einen Blitz aus, der das streitende Paar trennte. Hernach stieg er höchstpersönlich zur Erde hinab, um den Streit zu schlichten. Der Göttervater hörte sich bedächtig an, was geschehen war. Nachdem Astrahar und Wodanorr ihren Bericht beendet hatten, fällte er ein Urteil, das beiden gerecht wurde: Zu Ehren der schönen Ninivéh sollte eine Stadt im Zweistromland fortan ihren Namen tragen. Die arme Seele des Orionos aber sollte aus dem Höllenfeuer gerettet und als Sternbild an den Himmel entsandt werden. Und so geschah es. […]
Wir lieben die traditionelle Rechtschreibung!