Die Abenteuer der Linny Witt - Das Aurum potabile

Coverillustration und -gestaltung: Carola Hipper

unter Verwendung des Gemäldes

Ein Kopf, aus Tieren zusammengesetzt von Giuseppe Arcimboldo

ISBN 978-3-935505-24-8

Papierformat: 13,5 x 21,5 cm

348 Seiten

Schriftart: Palatino Linotype 11

Qualität/Ausstattung: Hardcover (glanzfolienkaschiert),

Rundrücken, Fadenheftung

Exposé

Copyright © 2005-2013 Carola Hipper

 

In einer stürmischen Oktobernacht genau dreizehn Tage vor Lalindas Geburtstag bekommt sie Besuch von einem unheimlichen Fremden, der behauptet, sie sei berufen, das »magische« Erbe ihrer Familie anzutreten. Das Mädchen, das nicht an Zauberei glaubt, hält die Erscheinung des Fremden zunächst für einen Traum. Doch als Lalinda, genannt »Linny«, am anderen Morgen erwacht, geschehen seltsame Dinge, die sie zwingen, ihrem Schicksal ins Auge zu blicken:

Gemäß einer schicksalhaften Prophezeiung erhellen Polarlichter den wolkenschweren Himmel, die Welt wird von Magnetstürmen heimgesucht, die von mysteriösen Sturmgöttinnen über das Land gebracht wurden. Während die Menschen in einem tiefen Betäubungsschlaf liegen, herrscht Aufruhr in der magischen Welt. Es bleiben Linny nur dreizehn Tage, um die Zauberkunst zu erlernen und sich auf ihre große Prüfung vorzubereiten, falls sie am Tage der Auferstehung des Bösen gegen die dunklen Kräfte gewappnet sein will.

Das Mädchen begibt sich auf die Suche nach dem Aurum potabile, dem geheimnisvollen Trinkgold, das die Kraft besitzen soll, toten Seelen neues Leben einzuhauchen.

Indes hat der Countdown zu Linnys magischer Taufe, die an All Hallows Eve stattfinden soll, bereits begonnen. Doch auch die dunklen Mächte wissen um die Bedeutung der Halloween-Nacht: Als der gefürchtete Schwarzmagier Samuel Slaughtermain seine Hand nach dem Aurum potabile ausstreckt, beginnt ein Wettlauf um Leben und Tod …

Wir lieben die traditionelle Rechtschreibung!

Inhalt

 

Vorbemerkung

S. 9

 

Die Charaktere

S. 10

 

1. Kapitel

Der schwebende Schatten

S. 11

 

2. Kapitel

Die große Stille

S. 47

 

3. Kapitel

Donnergrollen

S. 71

 

4. Kapitel

Ungebetener Besuch

S. 93

 

5. Kapitel

Das weiße Gift

S. 133

 

6. Kapitel

Das Buch Aeon

S. 157

 

7. Kapitel

Im Visier des Weißen Jägers

S. 175

 

8. Kapitel

Die Botschaft

S. 187

 

 

9. Kapitel

Die Säulen des Spiegelbergs

S. 203

 

10. Kapitel

Die Gezeitenpforte

S. 229

 

11. Kapitel

Das Geheimnis der Moireen

S. 259

 

12. Kapitel

Im Banne des Fährmanns

S. 267

 

13. Kapitel

Hexentaufe

S. 283

 

Nachwort

S. 328

 

Danksagung

S. 330

 

Glossar

S. 331

 

Entstehungsgeschichte

S. 336

 

Trivia

S. 341

 

Schlußbemerkungen

zur traditionellen Rechtschreibung

S. 344


Leseprobe als PDF-Datei:

1. Kapitel aus: Das Aurum potabile [ein Linny-Witt-Abenteuer[
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Inhalt der Hörbuchfassung [Testhörerversion]
Inhalt der Hörbuchfassung [Testhörerversion]

Leseprobe aus Kapitel 7:

 

[…] Es war bereits weit nach Mitternacht, als das Mädchen mit schweißnasser Stirn erwachte. Aus dem nahegelegenen Wald hatte sich ein unheimliches Geräusch gelöst, das Linny das Blut in den Adern stocken ließ: Das melodische Heulen eines einsamen Wolfes bahnte sich mit wilder Intensität seinen Weg durch das dichte Unterholz des dunklen Waldes. Das Mädchen war stocksteif vor Angst. Es preßte seinen Körper fest in die schützende Couch, als es mit einem Mal deutlich vernahm, daß das Geheul des Raubtiers näher kam.

»Oh, bitte«, dachte Linny, die sich einer Ohnmacht nahe fühlte, »nicht auch noch das! Bitte, bitte, nicht! Laß das Tier an unserem Haus vorüberziehen!«

Sie hielt die Augen fest geschlossen und drückte die Decke an den Körper, als böte sie einen Schutz gegen das entfesselte Raubtier, das in der Dunkelheit lauerte. Eine Weile blieb es still, und Linny glaubte schon, daß die Gefahr vorüber sei. Doch da! Plötzlich hörte sie ein Scharren an der Verandatür. Linny horchte auf. Da war es wieder: ein Kratzen und Scharren, so nahe, als sei es im selben Raum. Linnys Herz beschleunigte seinen Schlag, als sie sich vorsichtig der Veranda zuwandte und in die sternenklare Nacht hinausspähte. Ein blasser, zunehmender Mond warf sein kühles Licht so zaghaft vom Himmel hinab, als wage er nicht, das wahre Gesicht der Nacht zu enthüllen. Der Schein des Mondes war zu schwach, um das Gewirr von Schemen und Schatten zu entzaubern.

Jenseits der gläsernen Barriere erhaschte Linny die geschmeidigen Bewegungen eines muskulösen Tieres, das sich im bizarren Schattenspiel der Nacht rastlos hin- und herbewegte, gleich einem Tiger, der, gefangen hinter eisernen Stäben, nach Freiheit dürstet. Das Mädchen wandte den Kopf und blickte auf. Und plötzlich durchpflügten zwei aufblitzende Augen, feurig wie ein Paar entfesselter Feuerbälle, das Dunkel. Linny schreckte zurück. Hatte der Wolf ihren Blick aufgefangen und ihr in die Augen gesehen? Hatte dieses prächtige, unheilvolle Tier ihr wirklich und wahrhaftig seinen wilden, unergründlichen Blick zugesandt, der sie tief in ihrem Herzen traf und dort etwas anfachte, das sie nie zuvor gekannt hatte: ein Gefühl von unbändiger Freiheit?!

Linny spürte ein unsägliches Verlangen in ihrer Brust, das sich in ihren Adern ausbreitete wie pulsierendes Blut und unaufhaltsam von ihrem Körper Besitz ergriff. Es war das Verlangen, dem Ruf des Wolfes zu folgen. Wie von unsichtbaren Händen gezogen, richtete sie sich auf, warf die Decke, die ihr eben noch Schutz geboten hatte, achtlos beiseite und erhob sich langsam. Wie gebannt bewegte sich das Mädchen auf die Verandatür zu. Gefährlich und lockend zugleich hob der Wolf zu einer weiteren Strophe seines betörenden Gesanges an. Sein melancholisches Heulen durchdrang die Nacht mit magischer Gewalt. Linny ergab sich schier willenlos dem Ruf der Gefahr. An der Tür angelangt, starrte sie hinaus in die Nacht. Ungleich größer und kräftiger als seinesgleichen schien dieser Wolf zu sein. Wieder hob er die Stimme zum Gesang. Kein Windstoß rührte an den Zweigen der Bäume, kein Lüftchen fuhr durch das fallende Laub. Es war, als lausche die Nacht der Stimme einer Urkraft, so rein, so klar, so gewaltig wie die Wahrheit der Schöpfung selbst.

Dann, unversehens, kehrte Stille ein in das Mondenreich, und Linnys Körper glitt wie hypnotisiert an der verschlossenen Verandatür hinab auf den warmen Holzboden. Sie preßte die Handflächen an das Glas, das halb schützend, halb beengend, die einzige Barriere bildete zwischen dem Mädchen Lalinda und dem weißen Wolf.

[…]

Leseprobe aus Kapitel 7: [Fortsetzung]

 

Lalinda blickte gebannt hinaus in die Stille. Wo eben noch der Urschrei der Nacht mit seiner magischen Melodie ertönte, war einzig sein Blick geblieben, der Blick des lauernden Jägers, der nur einer Wahrheit gehorchte: seiner Natur. Und hier, Auge in Auge mit der unbezähmbaren Schönheit des Wolfes, erkannte Lalinda, daß sie vom selben Blut waren. Sie wollte die Tür öffnen, das trennende Glas aufbrechen und ihn berühren, sein schneeweißes Fell, das, wie aus Mondlicht geboren, silbrig glänzte und schimmerte – doch nein, sie wagte es nicht.

Linny gab sich ganz der Magie des Augenblicks hin, und in dieser einen, kostbaren Sekunde verspürte sie eine große Dankbarkeit für die Fülle des Lebens, die trotz aller Verluste, die sie schon in jungen Jahren hatte erleiden müssen, allgegenwärtig war. Ihr war, als offenbare sich alle Weisheit ihrer Vorfahren in den Augen des weißen Wolfes.

Plötzlich legte sich ein Schatten über den Mond, der sich von der Welt abwandte, als fürchte er das dräuende Unheil. Das Licht der Sterne verblaßte, und die Nacht verfinsterte sich. Doch, keine Wolke war es, die ihr schweres Grau über den Mond bettete. Linny horchte auf, als sich das Dunkel der Nacht zu regen begann. Die Stille gebar ein unheilvolles Beben, wie von tausend Flügelschlägen. Das Unheil näherte sich rasch und unaufhaltsam.

Der weiße Wolf wandte sein Antlitz und blickte gen Wald. Er nahm Witterung auf. Gleich darauf neigte er den Kopf. Ein leises Knurren entfuhr seiner Kehle, seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt, während das Flattern und Beben sich beharrlich näherte. Sekunden verstrichen, dann, plötzlich, waren sie da: Hunderte, Tausende, ja, Myriaden von Krähen, die sich wild flatternd in der Luft drängten. Erfüllt vom Flügelschlag des schwarzen Grauens erschauerte die Nacht.

Mit einem Satz war Linny auf den Beinen. Die ersten Vögel hatten sich aus der bebenden, schwarzen Wolke gelöst und auf den Wolf gestürzt. Mit ihren scharfen Schnäbeln attackierten sie ihn, doch er sprang in die Luft und packte die Angreifer, noch bevor sie ihn verletzen konnten. Linny beobachtete das Spektakel mit einer Mischung aus Unglaube und Entsetzen.

Wieder stürzten sich einzelne Vögel auf den Wolf, der seine dunklen Widersacher, einen nach dem anderen, in der Luft zerfetzte. Mehr und immer mehr Krähen lösten sich aus dem schwarzen Gewölk und stürzten sich auf den Wolf. Schon hatte eine der dunklen Angreiferinnen, die seinen mächtigen Fangzähnen entgangen war, ihn mit ihrem Schnabel in die Flanke getroffen, und Blut trat aus der Wunde hervor. Immer mehr und mehr der grausamen Höllenvögel fielen vom Himmel und rammten ihre messerscharfen Schnäbel in das Fell des Weißen Jägers.

Bald war sein prächtiges Fell übersät von klaffenden Wunden. Das stolze Raubtier kämpfte mutig gegen die dämonische Schar. Doch waren es ihrer zu viele. Die Schnäbel der Krähen bohrten sich wie Pfeile durch die Haut des stolzen Jägers, dem trotz seiner Qualen nicht ein einziger Klagelaut entfuhr. Der Wolf leistete erbitterten Widerstand. Doch die schwarze Brut schwebte über ihm wie ein unheiliger Schatten.

Linny wollte ihren Blick abwenden, einfach nicht mehr hinsehen, zu sehr bangte sie um das prächtige Tier. Sie vermochte es nicht. Etwas wie der Schmerz eines drohenden Verlustes hielt ihren Blick gefangen. Der Schrecken jener grausigen Szene lähmte ihr das Herz. Ihr war, als müsse sie jede Verletzung, die die Krähen dem Wolf beibrachten, am eigenen Leib erdulden. Sie sah zu, wandte ihren Blick nicht ab, und sie spürte die bohrende Pein wie von tausend Martern. Sie sah zu, wie das silberweiße Fell des weißen Wolfes sich mehr und mehr verfärbte. Wenn nicht rasch ein Wunder geschah, würde ihn das tödliche Höllenheer vor ihren Augen zerfleischen. Und die Nacht, vom Schein des sterbenden Mondes verlassen, färbte sich rot.

Doch was war das? Linny spürte unvermutet ein Gefühl von kalter Ohnmacht in sich aufsteigen. Es dauerte kaum Sekunden, bis die Beklemmung sich löste und einem anderen, weitaus stärkeren Gefühl wich. Was blieb, war die kalte, nackte Wut. Nein! Nein! Und nochmals: nein! Sie würde nicht untätig zusehen, wie die Boten des Teufels den weißen Wolf in Stücke rissen! Nein, vor Linnys Tür würde kein Mensch, kein Tier, noch irgendein anderes unschuldiges Wesen Schaden erleiden! Nicht, solange noch ein einziger Tropfen Blut in ihren Adern floß! Sie würde es nicht dulden! Sie war Lalinda, Tochter der mächtigen Hexe Annabella von Wittenberg, und sie würde dem Teufel selbst die Stirn bieten, wenn er es wagte, den Frieden ihres Hauses zu bedrohen! […]

Hörprobe aus Kapitel 7: Im Visier des Weißen Jägers

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Cover des wav-Hörbuchs
Cover des wav-Hörbuchs

Leseprobe aus Kapitel 4:

 

[…] »Aber nein! Slaughtermain ist ein mächtiger Magier! Mit gewöhnlicher Kristalomantie würde er sich nicht begnügen! Das Magische Auge wird auch das Auge der Götter oder Horusauge genannt, ja, ja. Es ist eine Art von Orakel, dennoch erlaubt es dem Ratsuchenden keinen direkten Einblick in die Zukunft. Das Auge des Horus speichert jeden Gedanken, der von jedwedem magischen Wesen je gedacht wurde oder noch gedacht werden wird, in Form von Bildern und Visionen. Doch es ist sehr schwer zu lesen, tjaja. Um seine Botschaften deuten zu können, muß man aus Millionen und Abermillionen Gedanken genau diejenigen Bilder auswählen, die zu einem schicksalhaften Zeitpunkt gedacht worden sind. Und das ist praktisch unmöglich! Nicht umsonst nennt man das Magische Auge auch das Auge der Götter, wurde es doch von den Allweisen erschaffen, um ausschließlich ihnen, den Großen Schöpfern, zu dienen und ihnen zu helfen, die Geschicke der Welt zu lenken. Das Auge des Horus wurde nicht erschaffen, um von einem gewöhnlichen Zauberer, und sei er auch ein großer Magier, gelesen zu werden. Es ist schon ein Wunder, daß Slaughtermain dem Horusauge einen wichtigen Hinweis entlocken konnte, ja, ja.« Chrysaora machte eine bedeutungsvolle Pause, wie um sich Linnys ganzer Aufmerksamkeit zu versichern.

»Was für einen Hinweis?« fragte das Mädchen prompt. »Nun erzähl schon weiter!«

»Das Magische Auge offenbarte dem Dunklen Gebieter einen ganz bestimmten Gedanken seines Sohnes in Form einer Vision, ja, ja.«

Bei den letzten Worten hatte die Kräuterhexe ihre Stimme gesenkt und beinahe geflüstert, als fürchte sie, der Dunkle Fürst könne sie belauschen. Mit weit aufgerissenen Augen beugte sie sich vor und sagte:

»Nun, mein Kind, kannst du dir denken, welcher Gedanke es war, der Samuel Slaughtermain offenbart wurde?« Linny hatte dem Bericht der Handelshexe voller Spannung gelauscht. Das Mädchen überlegte einen Augenblick, bevor es zögerlich erwiderte:

»Ich glaube schon. Es muß derjenige Gedanke gewesen sein, der seinen Sohn dazu bewogen hat, die Seiten zu wechseln!«

»Richtig!« Die Herbaria schlug triumphierend mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Und?« Linny platzte beinahe vor Neugier. »Komm schon, raus damit! Mach ’s nicht so spannend! Was hat Samuel Slaughtermain gesehen?« Ein verräterisches Zucken machte sich um Chrysaoras Mundwinkel breit, doch sie schwieg.

»Was hat er gesehen? Nun sag schon!« forderte Linny. […]

Hörprobe aus Kapitel 4: Ungebetener Besuch

Hörprobe aus Kapitel 4
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Leseprobe aus Kapitel 9:

 

[…] »Aghadir, zu deinen Diensten!« erklärte der Fakir mit verschränkten Armen.

»Zu meinen Diensten, schön-schön«, wiederholte Linny mürrisch. »Und was treibst du so, Aghadir, wenn du gerade einmal nicht durch Fensterscheiben in fremde Schlafgemächer einbrichst?« 

»Ich bin ein gelernter Wanderfakir!« bekannte Aghadir mit Stolz.

»Ach, so was kann man lernen?« gab Linny streitlustig zurück. »Nach deinem fulminanten Auftritt hätte ich darauf gewettet, daß du Staubsaugervertreter wärst!«

Linny grinste hämisch, während sie einen ihrer Schuhe anzog und sich einen Schal umwarf.

»Nein«, antwortete Aghadir ernst, »leider war ich, als die magische Bestimmung mich ereilte, schon zu alt, um in die Dienste der Firma Vorzwerg & Wichtel berufen zu werden. Leider, leider. Aber auch als Wanderfakir kommt man viel herum. Und heute Nacht bin ich ganz für dich da, meine liebe Lalinda!«

»Sieh an, schon wieder jemand, der meinen Namen kennt, und sich einen Reim darauf macht!« kommentierte Linny. »Aghadir, der Hobbydichter! Wenn das Fakir-Business mal nicht läuft, könntest du glatt als Hofnarr jobben. Oder als feingeistiger Entertainer für einsame Kräuterhexen! Stehst du in den Gelben Seiten?«

»Pah! Ein loses Mundwerk hast du da, Lalinda! Halt es schön geschlossen, sonst fliegen dir die Fledermäuse in den Hals! Das sind garstige Rachenputzer, glaube mir!« konterte Aghadir, der ungeduldig auf seinem Teppich hin- und herwippte. Linny kniff die Augen zusammen.

»Ach, sage mal, mein hochgeschätzter Wanderfakir, wie ist das eigentlich: wird dir gar nicht kalt, wenn du mit nacktem Oberkörper durch die Nacht saust, auf deinem Teppichtaxi?« sagte sie ein wenig bissig.

»Ich bin ein echter Fakir, mein Kind, kein Gaukler!« betonte Aghadir. »Ich bin abgehärtet. Meine Muskeln sind aus Stahl, und meine Haut ist aus rostfreiem Eisen!«

»Ach, was du nicht sagst! Komisch, siehst gar nicht aus wie ein durchtrainierter Meister Propper!« gab Linny keck zurück, während sie in den zweiten Schuh schlüpfte. »Und was ist das da, rund um deine Hüften? Ist das ein fleischfarbener Gürtel oder etwa eine Speckrolle?«

»Erlaube mal!« entrüstete sich Aghadir, dem die Röte ins Gesicht geschossen war. »Das sind alles Muskeln!« Er stemmte die Arme in die Seiten, hob das Kinn an und straffte den Oberkörper, damit seine »Muskelrolle« unsichtbar wurde.

»Muskeln?!« Linny musterte den Fakir mit einem kritischen Blick. »Für mich sieht das verdächtig nach einem Wohlstandsbauch aus! Vielleicht solltest du den Teppich öfter mal in der Garage lassen und deinen Job statt dessen mit dem Fahrrad erledigen!«

»Erlaube mal! Ich habe meinen schönsten Sonntagsteppich ausgemottet, um dir, Lalinda, die Ehre zu geben! Ich habe sogar die Brotkrümel und Popkornreste abgesaugt, damit sie dich während der Fahrt nicht in den Hintern pieksen! Und was ernte ich für meine Mühen? Spott und Hohn!«

Linny konnte sich das Grinsen nicht länger verkneifen.

 »Popkornreste? Fliegst du etwa mit deiner aufgetunten Kiste samstags die kleinen Dschinnis ins Wolkenkino, um sie anschließend aufs Nagelbrett zu legen?« kicherte sie.

»Wo denkst du hin?! Ich bin ein seßhafter Wanderfakir, kein Herumtreiber! Ich bin verheiratet!«

»Waaas? Du bist verheiratet?!« Linny machte ein ungläubiges Gesicht. Es bereitete ihr das größte Vergnügen, diesen Aghadir zu necken. […]

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das Hörbuch gibt es auch im praktischen Videoformat
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Leseprobe aus Kapitel 4:

 

[...] Linny machte eine abwehrende Bewegung, als die Alte sie großmütterlich in den Arm nahm. Doch es half nichts: Das Weiblein drängte sie mit zuckersüßer Miene auf den nächstbesten Stuhl und wiederholte:

»Sage es mir doch, mein Kindchen, wer war die geschätzte Kollegin? Womöglich kenne ich sie! War es eine Handelshexe alten Schule oder eine gewöhnliche Bacularia? Oder war es vielleicht eine New-Age-Wicca? Mir kannst du es doch sagen-sagen-sagen!

»New-Age-Wicca?! Ich verstehe kein Wort! Und was zum Henker ist eine Handelshexe?« erwiderte Linny barsch, während die ungebetene Besucherin ungeduldig von einem Bein auf das andere trat.

»Na, dann bin ich wohl doch die erste – Kyrios sei Dank!« Die Alte kratzte sich freudig an der Nasenspitze. »Aber das Fluchen solltest du dringend üben, Herzchen! Eine Hexe wünscht man nicht zum Henker, sondern an den Pranger! In unseren Kreisen wünscht man nur Normalsterbliche zum Henker! Und selbst das ist in Europa verpönt-verpönt-ja-verpönt! Die Todesstrafe ist hierzulande nicht sehr en vogue, wie du wissen solltest. In Amerika hättest du schon bessere Chancen, ja-ja-ja! Da werden die guten alten Sitten und Gebräuche noch gepflegt!« Das Gesicht der Alten nahm einen beinahe wehmütigen Ausdruck an. »Da fällt mir ein: Ich habe mal eine Kollegin zum Hiobsposten geschickt, jaja-jaja-jaja! Sie hatte es verdient, möchte ich betonen! Sie hat nämlich ihren Hausschlumpf ständig auf meine Runkelknollen pinkeln lassen! Das ist doch nun wirklich nicht nett, oder?! Und rate mal, was dann geschehen ist?«

»Ich habe keine Ahnung!« gab Linny zurück, während die Alte unverblümt weitererzählte und erzählte und erzählte:

»Man hat sie dem gefürchteten Fürstabt Honorius von Schreckenstein übergeben, und als er sie zur Feuerprobe schickte, da hat diese ausgekochte Wetterhexe einen Sturm heraufbeschworen, ho-ho-ho! Der Regen hat das Feuer gelöscht, und diese verschlagene Gewitterziege hat dem Scharfrichter eine lange Nase gezeigt, während sie in aller Seelenruhe über die ›glühenden‹ Kohlen hüpfte! Die waren nämlich längst abgekühlt und bloß noch lauwarm, ja-ja-ja, so eine vermaledeite Mogelei-Mogelei-Mogelei

Die Handelshexe umtänzelte hektisch den Eßtisch, wobei sie ihr neugieriges Riechorgan unverblümt in alle möglichen Schalen, Gefäße und Schachteln steckte, Kräuter- und Gewürzdöschen öffnete, Fläschchen aufschraubte und an deren Inhalt roch. Obwohl Linny ihr einen ärgerlichen Blick zuwarf, dachte sie nicht daran, ihren Redeschwall zu unterbrechen:

»Ja, ja, denk dir nur, mein Kind, gleich am nächsten Tag hat mir das Biest einen Hagelschauer auf den Leib gehetzt, der mich sieben Tage und sieben Nächte auf Schritt und Tritt verfolgt hat! Wohin ich auch ging, über meinem Kopf schwebte immer dieselbe schwarze Wolke, die ohne Unterlaß Hagelkörner ausspuckte! Groß wie Möweneier waren die Dinger, das sage ich dir, ja-ja-ja! Ein übler Streich war das! Übel, übel, übel! Der Hagelschauer hat an mir geklebt wie ein Wundgummi auf einer frisch ausgedrückten Eiterbeule! Sogar aufs stille Örtchen hat mich der Hagel verfolgt, wenn ich mal für kleine Kräuterhexen mußte! Nicht einmal meine Notdurft konnte ich verrichten, ohne daß die Hagelkörner mich gepiesackt haben! Und das ganze sieben Tage und sieben Nächte lang! Stell dir das vor!« Die Alte machte ein leidendes Gesicht und seufzte tief.

Bei der Vorstellung, das zerzauste Weiblein auf dem stillen Örtchen sitzen zu sehen, mit einer schadenfrohen, schwarzen Wolke über dem Kopf, die einen Hagelschauer nach dem anderen ausspuckte, konnte Linny sich das Grinsen nicht verkneifen.

»Spotte nicht, junge Dame! Lerne aus dem Mißgeschick anderer! Reize niemals eine Wetterhexe! So etwas kann böse Folgen haben! Ja-ja- ja! Sieh mich an!« Die Kräuterhexe riß sich mit einer dramatischen Handbewegung den Schlapphut vom Kopf. Dann lupfte sie eine ihrer dicken, zerzausten Haarsträhnen und richtete den krummen Zeigefinger auf die Beule an ihrer Stirn. »Ich bin fürs Leben gezeichnet! Gezeichnet! Jawohl, gezeichnet! Glücklicherweise bin ich von Geburt an mit einer üppigen Haarpracht gesegnet, Kyrios sei Dank! Sonst könnte jedermann dieses scheußliche Schandmal sehen, und ich wäre nicht mehr gesellschaftsfähig!« Linny fand die dicke Warze auf der windschiefen Nase der Alten weitaus unansehnlicher als die Beule, doch hielt sie es für besser, ihre Meinung für sich zu behalten, zumal sie das Weiblein so schnell wie möglich wieder loswerden wollte.

»Ich könnte mich auf keinem Hexensabbat und auf keinem Kräuterseminar mehr sehen lassen!« jammerte die Alte weiter. »Und was noch viel schlimmer wäre: Am Hieros-Gamos-Fest würde kein einziger Wizard mit mir tanzen wollen, entstellt wie ich bin! Vom gemeinsamen Besenreiten oder ›Ringelwurz mit anfassen‹ will ich gar nicht reden! Ich müßte mit dem verknöcherten, alten Hofmagier vorlieb nehmen! Oder gar mit einem gewöhnlichen Incubus! Nicht auszudenken! Mein guter Ruf wäre für immer dahin-dahin-dahin! Und das bei meinem guten Aussehen! Wenn man meinem Konterfarius glauben darf, habe ich mich für mein Alter hervorragend gehalten-gehalten-gehalten! Für mein Alter sehe ich viel zu jung aus! Aber wenn ich mich mit dieser Beule in der Öffentlichkeit zeigen müßte?! Ach herrje! Da käme ich bei der nächsten Asklepios-Messe nicht mal an den Türsteher-Druiden vorbei!«

»Das tut mir ja alles sehr leid für Euch. Aber was hat das alles mit mir zutun?«

Linny trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch, während sie die Alte fest anblickte. Nur widerwillig hatte sie ihre Suche nach dem magischen Buch unterbrochen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und zurück auf den Dachboden gerannt, um weiter danach zu suchen. Linny befand, daß sie der alten Hexe lange genug zugehört hatte. Ungeduldig fügte sie hinzu: »Also bitte, wer seid Ihr?«

»Wer ich bin?« Die Handelshexe machte eine ausladende Bewegung mit der Hand. »Wer ich bin?«

»Ja!« Linny verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war mit ihrer Geduld am Ende.

»Ich bin Chrysaora, deine ganz persönliche Herbaria vom Dienst, wer sonst-wer sonst- wer sonst

»Herbaria? Diesen Ausdruck habe ich noch nie gehört!« Linny tat einen tiefen Atemzug. Sie bemühte sich, ruhig und höflich zu bleiben, obwohl sie das Weiblein am liebsten ohne weitere Umschweife vor die Tür gesetzt hätte.

»Herbaria«, erklärte die Alte, »bedeutet ›Kräuterreisende‹. Ich beliefere alle magischen Haushalte und solche, die es demnächst werden wollen, mit den notwendigsten Tinkturen, Elixieren, Cremes und Pulvern. Bei mir bekommst du alle lebenswichtigen Utensilien für die angehende Hexe! Als erstes rate ich dir, deinen Grundbedarf an magischen Ingredienzien aufzustocken.« Ehe sie weitersprach, öffnete sie ihren Trolley und begann, allerlei Zeug daraus hervorzukramen: »Schau her, Kind, ich habe Kräuter, Gewürze, Blumenzwiebeln, Samen, Rezepte, Wundgummis-«

»Was um Himmels willen sind Wundgummis?« unterbrach Linny.

»Um Kyrios willen, wolltest du sagen!« berichtigte die Kräuterhexe.

Rückseite mit Klappentext
Rückseite mit Klappentext

Wir lieben die traditionelle Rechtschreibung!

 

Leseprobe aus Kapitel 3:

  […] Ein unheilvolles Geräusch wie das Fauchen und Summen von tausend Stimmen erfüllte den Raum. Eine drückende Schwere lag in der Luft. Linny wagte kaum zu atmen. Das Mädchen ließ sich von Contardo am Chorgestühl vorbei in östlicher Richtung geleiten. Die beiden hatten kaum die Hälfte des Raumes durchquert, da zuckte Linny zusammen. Sie unterdrückte einen leisen Aufschrei.

»Hast du das auch gespürt?« flüsterte sie zitternd und drückte Contardos Hand fester.

»Ja«, erwiderte er mit gedämpfter Stimme, als wolle er die Domgeister nicht aus ihren Ritzen hervorlocken.

Ein eiskalter Lufthauch hatte Linnys Beine gestreift. Sie sah nach unten und erblickte nichts als immer nur dasselbe düstere Schwarz, das ihr die Sinne vernebelte. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Finsternis. Und ganz allmählich begann der Innenraum des Domes deutliche Konturen anzunehmen. Zu ihrem Entsetzen gewahrte Linny ein Heer von Schatten, das sich aus dem Dunkel der Seitenschiffe und aus den Hochrängen rings ums das Hauptschiff löste und auf die beiden zuzubewegen schien. Näher und näher kamen die schwarzen Schatten und hefteten ihre glühenden Augen auf die Eindringlinge.

»Es sind nur Schatten«, dachte Linny. »Sie können mir nichts anhaben.« […]