DIE BLAUE WELLE
Eine philosophische Reise durch das STEIGENDE GEFÄLLE des Seins
Titelbild "Die versunkene Frau" © 1999 Cara O´Phelí
Coverillustration und -gestaltung: Carola Hipper
ISBN 978-3-935505-steht-noch-nicht-fest
Papierformat: 13,5 x 21,5 cm
388 Seiten
Schriftart: Century Schookbook 11
Qualität/Ausstattung: Hardcover (glanzfolienkaschiert),
Rundrücken, Fadenheftung
Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob die Zeit nicht etwa eine Dimension, sondern ein »emotionales Wesen« oder gar eine »Gottheit« sein könnte?
Was ist Liebe? Chemische Reaktion, Illusion oder gar eine physikalische Unvermeidbarkeit? Man muß nicht auf jede Frage eine Antwort finden.
Wichtig ist, die Suche nicht aufzugeben, nämlich die Suche nach dem Sinn des Lebens, der Liebe und der Schöpfung. Solange wir neugierig bleiben, öffnen sich uns täglich neue Türen.
Folgen Sie der Autorin auf ihrer Reise durch die Welt der Gefühle und betrachten Sie dabei Ihr eigenes Leben, Ihre Liebesfähigkeit mit all ihren Höhen und Tiefen von einem ebenso analytischen wie poetischen Blickwinkel.
Erfahren Sie mehr über Männerängste, den Peter-Pan-Komplex und das Handicap-Prinzip, lesen Sie, wieso unsere Gesellschaft einer Lügenkultur gleicht, betrachten Sie Theorien aus dem Buddhismus, dem Hinduismus und der Navajo-Philosophie in einem völlig neuen Zusammenhang.
Die Autorin hinterfragt die wichtigsten Sinnzusammenhänge des Seins mit kritisch wachem Blick und einer unermüdlichen Neugier für diejenigen Details, die den Blutstrom des Leben und der Liebe zum Fließen bringen.
Die Blaue Welle ist eine philosophische Abhandlung über das fließende Gleichgewicht des Lebens und die Faktoren, die es beeinflussen. Ein Ratgeber für alle, die wissen möchten, was die Welt im innersten zusammenhält.
Aus dem Vorwort zu Die Blaue Welle:
Am 1. Januar 2001 begann das neue Jahrtausend, am 21. Dezember 2012 steht angeblich der Weltuntergang bevor.– Das Jahr 2000 hat sich als ein Jahr des Umbruchs erwiesen, das von einem Teil der Menschen als Auftakt des dritten Jahrtausends gefeiert, von einem anderen Teil als »Wendejahr« wahrgenommen wurde. Mit dem Jahr 2012 verhält es sich ähnlich: Angesichts der zahlreichen Prophezeiungen vom Untergang der Welt darf auch 2012 als ein kritisches Umbruchjahr angesehen werden. Aber was steckt hinter all den Unkenrufen und Orakeleien? Bedeutet das Ende des Mayakalenders tatsächlich das Ende der Welt?
Eine stetig komplexer werdende Gesellschaft erlaubte dem »Mensch 2000« wenig Freiraum für das schlichte Erleben des Natürlichen. Wirtschaftliche und technologische Entwicklungen sind zwar begrüßenswert, sie allein gestalten unser Leben jedoch keinesfalls lebenswert.
Fortschritt besteht nicht darin, daß wir in einer bestimmten Richtung unendlich weiterlaufen, sondern daß wir einen Platz finden, auf dem wir wieder eine Zeitlang stehenbleiben können.
Gilbert Keith Chesterton
Und der »Mensch 2012«? Wie verhält es sich mit seiner Lebens- und Bewußtseinssituation? Steuert er zum Ende des Maya-Zeitalters die seelische Apokalypse an, oder besinnt er sich auf eine neue Gefühlspoesie?
Der Bibel Code prophezeit für das Jahr 2012 den Einschlag eines Kometen auf der Erde und damit die Apokalypse. Das Ende des Maya-Kalenders kündet von der Geburt eines neuen solaren Jahres, in der die Natur des menschlichen Bewußtseins eine neue Ebene erreichen wird. Die Weissagung der afrikanischen Zulu kündet von der Rückkehr des Sternes Mu-shosho-nono im Jahr 2012, dem Jahr des Roten Bullen. Die amerikanischen Hopi-Indianer prophezeien zum Übergang von der vierten in die fünfte Welt eine große Reinigung, gekennzeichnet durch das Auftauchen eines blauen Sternes, der als zweite Sonne am Himmel stehen und heller erstrahlen werde als der Morgenstern. Des Nachts werde der große Stern als zweiter Mond den Himmel erleuchten. Auch in der hinduistischen Kosmologie endet im Jahr 2012 das vierte Zeitalter, auch bekannt als Kali-Yuga, das Zeitalter des Verfalls, Untergangs und Verderbens, das 2012 von einem neuen, goldenen Zeitalter abgelöst werden soll.
Im Jahr des Umbruchs beleuchtet die Blaue Welle die unterschiedlichsten Lebens- und Gefühlssituationen in lyrisch-philosophischer Form. Damit vereinigt und reflektiert die »poetische Exoterik« Gedanken aus Psychologie, Philosophie, Mythologie, Humanmedizin, und Mystik. Religiöse Bezugspunkte werden kritisch betrachtet und zur Diskussion gestellt [...]
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Inhalt
[ohne Seitenzahlen]
Vorwort
Propemptikon
I. Das Leben verzeiht S. xyz
Einheit und Dualismus – Lebensgefühl kontra
Menschenverstand
Von der Seelenblindheit der Jurisprudenz
Vergewaltigung light, ein Politikum?
Liebe und Lebensmelodie
Verzeihung und emotionale Verantwortung
II. Veratmete Zeit S. xyz
Dimensionen des Gefühls
Lebenszeit und Zeit des Lebens:
Liebe als Kontinuum des Seins
Ist die Zeit ein emotionales Wesen?
III. Zwei auf einem Weg S. xyz
Ausschläge des Lebenspendels zwischen
Hoffnung und Liebe
Die »Physik« der Liebe
Universalität und Wandlung
IV. Fließender Kreis S. xyz
Erfahrungen am Rande des Lebenskreises
Fließgleichgewicht und offenes System – Liebe: Gestalt und Wesen
Die Zeit als »leitendes« Lebenskriterium
Der Kampf um das »Sterben« der Zeit
V. Phantomschmerz S. xyz
Phänomen und »Sinnappetenz«
Schatten und Licht im Zenit der Gefühle
Ein philosophischer Ausflug ins »Nichts«
VI. Dich lieben? S. xyz
Liebe, das Naturgesetz der Unlogik?
Liebevolle Zeitrelationen
VII. Unnahbarkeit S. xyz
Die »sechs Gebote« der Selbstverleugnung –
Selbstliebe contra Egomanie
Die gläserne Mauer
Der Fluch der Ambivalenz: »Streckbank«
oder Spiegelwirklichkeit
VIII. Der Ruf des Verweigerers S. xyz
Verlustangst und Verweigerung, Hilferuf einer kindlichen Persönlichkeit
Das Peter-Pan-Phänomen
Das Lächeln am Fuße der Leiter
IX. Vom Alleinsein S. xyz
Das Alleinsein, Schöpfungsquelle oder
Endstation »Einsamkeit«?
Der Eremit, eine aussterbende Möglichkeit?
Kleine Gedächtnispsychologie
X. Emphasis S. xyz
Bewährungsprobe der Leidenschaft: Wiedergeburt vergessener Gefühlsdimensionen?
Über das Glück
XI. Gefangen S. xyz
Eros und Thanatos im Fadenkreuz der Psychoanalyse, oder: Zwei Götter auf der Couch
XII. Ein ungleiches Paar S. xyz
Liebe und Hoffnung, Vita und Basis?
»Blut«, Sinnbild des Lebens
XIII. Skepsis S. xyz
Pseudoliebe, das Evangelium der Bedingung
»Wie war ich, Schatz?«
Loyalitätskonflikt und machtlose Männlichkeit
XIV. Eifersucht S. xyz
»Sucht« und »Eifer«, Rekruten der Eigenliebe?
XV. Ohne Worte S. xyz
Die Sprache des Schweigens
auf dem Pfad der Gerechten
XVI. Fata morgana S. xyz
Im Labyrinth der »Beziehungswüste«
Rot versus Grün: zwei Farben, ein Problem?
Die Enttäuschung, »kalte Vision«
einer Fehlwahrnehmung?
XVII. Liebste Liebe S. xyz
Der schicksalhafte Selbstbetrug
des romantischen Liebhabers
XIII. Wohin? S. xyz
Der Mensch, eine tragisch-komische Figur?
Über die »befremdliche« Eigendynamik der Gefühle
XIX. Liebe bleibt S. xyz
Der Mensch als »liebendes Wesen«?
Definitionsversuche der Emotionspsychologie
»Selbstbeobachtung« und »Gefühlsobjektivierung« – Worthülsen der Wissenschaft?
Treueschwüre und andere »Vertrauenskiller«
XX. Vergessene Geschwister S. xyz
»Kleinigkeiten« im Koordinatensystem
einer fließenden Lebenswirklichkeit
[über die Relativität des Absoluten]
XXI. Erotica pathemata S. xyz
Gefühlspathos oder Instant-Emotion?
Herzschmerz als Ausweg
aus einer selbstgewählten Gefühlssterilität?
XXII. Nicht mehr S. xyz
Die »magischen Säulen« der Liebe
Angst und Gewohnheit: Komplizen der Zeit?
Energie, Verwandlung und Unvergänglichkeit
XXIII. Und dann? – Alles und Nichts S. xyz
»Geben und Nehmen«: die romantische Beziehung
als »Handelsabkommen«?
Gesichter des Altru-Egoismus,
oder: Mensch, verkenne dich selbst!
XXIV. Dein Licht S. xyz
Wahrnehmung und Perspektive –
Das Auge – Seelenlicht oder Gefühlsspiegel?
XXV. Selbstverloren S. xyz
Selbstbildnis und Selbstfindung
»Verkehrte Wahrheit«: Lüge oder Lebenswirklichkeit?
Die objektivierbare Realität: eine Utopie?
XXVI. Der das glänzende Heer führte S. xyz
Der emotionale Tod, oder: »Endlos fällt,
wer nie sich findet«
Der Zweifel als Vatermörder?
XXVII. Umfangen S. xyz
Eros und Psyche:
Frisch geliebt, ist halb gelebt
XXVIII. Und wenn schon... S. xyz
Saure Trauben
»Sinnige Entzweiung«, oder: Trennung gleich Auftakt?
Die Freiheit der Entscheidung: »Wahl der Qual«?
Die Dreiheit als Lebensprinzip –
»Kopflast«, Gefühlsfalle im Verstandeskostüm
Weiß und Schwarz, das Schweigen am Abgrund?
XXVIX. Nähe zur Distanz S. xyz
Reise ins Ich, Labyrinth ohne Ausweg?
Wahrnehmung und Kognition
Schmerz, ein Dokument emotionaler Existenz?
Sonnengötter und Dämonen – Im Spannungsfeld
des Zeitenbogens
XXX. Gefallenes Wort S. xyz
Das Schweigen als Pforte zur Beziehungshölle?
XXXI. Veränderung S. xyz
Das unsichtbare Treueband, eine Bewährungsprobe?
Über die Natur der Entfremdung
Die Aufrichtigkeit als Liebe zur (Eigen-)Verantwortung
XXXII. Aufrichtigkeit S. xyz
Wahrheit und Lüge, wahre Gegenspieler
oder »Blutsverwandte«?
Auf die Größe kommt es an…
Die »Lügenkultur« zwischen Angebot und Nachfrage
Pseudologia phantastica
XXXIII. Laß sie S. xyz
Statusghettoisierung und Plus-de-Jouir,
Endstation: Einsamkeit?
XXXIV. Entwicklung S. xyz
Gefühlschaos im Tango des Zweifels –
Das Wesen der Liebe im Gedächtnis der Treue
XXXV. Magische Wendung S. xyz
Vergebung und Verhaltensänderung,
Auswirkungen der Liebe?
Das Handicap-Prinzip: über die Magie der Vergeudung
XXXVI. Die einzig Gewisse S. xyz
Liebe und Tod: zwei Ungewißheiten, ein Mysterium
XXXVII. Steigendes Gefälle S. xyz
Wasser, Ursymbol der Seele
Aqua viva, sinnlicher Energiefluß
am »bittersüßen Abgrund«
Salz, Spender der Lebenskraft
XXXVIII. Glücksweg S. xyz
Der Gesundheitsminister warnt...
vor leeren Erkenntnissen
Liebe: Primärbedürfnis und potentielle Energie
Exkurs in die Navajo-Philosophie –
Dialektik und Wirklichkeit
»Kleines« Glück und »große« Liebe
XXXIX. Die Sphinx S. xyz
Sphinx, Fabelgestalt oder Orakel?
Die Frage, Bedürfnis oder Antwort?
»Der Tigerbericht« und die buddhistische »Leere«
Der Verstand, Kontrahent oder
Bereiter des Wesentlichen?
Schattenseiten der »Hellsicht«
Die Wissensfalle inmitten einer »emotionalen Ebbe«
Nachwort S. xyz
Anhang S. xyz
Fremdwörter- und Bedeutungsverzeichnis S. xyz
Verzeichnis der zitierten Personen/Autoren S. xyz
Literatur S. xyz
Register S. xyz
Leseprobe aus DIE BLAUE WELLE, Kapitel 18:
Wohin?
Wohin flieht dein Blick, der mir entgleitet?
Gibt er mir ein anderes Gesicht?
Wohin schweift das Gefühl, das mir entgleitet?
Spürt es meine Sehnsucht nicht?
Wohin geht das Glück, das mir entgleitet?
Flieht es vor meinem Selbstmitleid?
Wohin flieht die Zeit, die uns entgleitet?
Näht sie der Zukunft ein neues Kleid?
XVIII. Wohin?
»Trude?!«
»Jaaa?«
»Das Steak ist kalt!«
»So?«
»Eiskalt!«
»Tja, das könnte daran liegen, daß es seit drei Stunden auf dem Tisch steht.«
»Und was soll ich jetzt machen?«
»Du kannst es essen oder stehenlassen – das steht dir völlig frei, Schatz!«
»Aber ich habe Hunger! Ich habe heute nachmittag auf meinen Schokoriegel verzichtet, weil ich mir den Appetit nicht verderben wollte!«
»Tja, dann hättest Du vielleicht anrufen sollen, als du bemerkt hast, daß deine Fakultätssitzung wieder mal länger dauert, Schatz!«
»Dein Ton ist unangemessen, geradezu spitzfindig wie du die Betonung auf ›Schatz‹ legst, wirklich Trude, ich habe das nicht verdient!«
»Möchtest du jetzt deinen Nachtisch, Schatz?«
»Da! Schon wieder diese Spitze! Es schmerzt in meinen Ohren, Trude! Dein Mangel an Sensibilität trifft mich sehr!«
»Bist du bald fertig mit dem Essen? Ich möchte die Spülmaschine einschalten, bevor die Tagesthemen beginnen.«
»Mein Steak ist kalt, und du denkst nur an deine Spülmaschine! Ihr Frauen seid wahrlich nicht das zarte und feinfühlige Geschlecht, als das ihr in der Dichtkunst beschrieben werdet!«
»Hättest dich ja rechtzeitig darum kümmern können, daß die Mikrowelle ausgetauscht wird. Das defekte Ding steht jetzt schon vier Wochen hier herum, und nichts passiert. Das hast du nun davon!«
»Ich bin immerhin der alleinige Ernährer der Familie! Auf mir lastet die ganze Verantwortung! Und du, liebe Trude, warst nur allzu froh, dein Studium aufgeben zu können und im Hafen der Ehe Zuflucht und Schutz zu finden. Der Haushalt obliegt deiner Verantwortung! Die Mikrowelle ist ein Küchengerät, also fällt sie in deinen Bereich!«
»Die Mikrowelle ist ein technisches Gerät, und Technik fällt in dein Ressort, Schatz!«
»Da! Schon wieder diese gemeine Betonung! Du weißt, wie sehr mich deine Spitzen treffen! Ich habe das nicht verdient, Trude! Tat für Tag schufte ich mich ab, damit du dir ein schönes Leben machen kannst! Und dann komme ich nach einem anstrengenden Tag nach Hause, und das Essen ist kalt! Also wirklich, das habe ich nicht verdient!«
»Willst du nun deinen Nachtisch aufessen, oder nicht? Ich schalte jetzt die Spülmaschine an, und ich habe keine Lust, dir ewig hinterher zu räumen, wenn du wieder mal das schmutzige Geschirr stehenläßt. Du bist nicht der einzige, der einen anstrengenden Tag hinter sich hat! Ich möchte jetzt meinen Fernsehabend genießen.
»Nachtisch, Nachtisch! Mein Steak ist kalt, und du machst dir Gedanken über den Nachtisch! Ich muß jeden Tag schwere Entscheidungen treffen. Mein Urteil entscheidet über Hunderte von Arbeitsplätzen, da kann ich mir wohl erlauben, über den Nachtisch nachzudenken, wenn es soweit ist! Dränge mich nicht ständig, Trude!«
»Bitte, der Herr ist mal wieder hypersensibel!«
»Und von dir als meiner Ehefrau kann ich doch wohl etwas mehr Verständnis für meine Situation verlangen! Etwas mehr Verständnis, mehr verlange ich gar nicht, Trude!«
»Nach achtundzwanzig Jahren ist mein Verständnis für dein ewiges Gejammer etwas eingerostet, Schatz!«
»Ich bin ein Mann! Ich bin sensibel! Und ich verlange ein wenig mehr Respekt! Tagein, tagaus erbringe ich die allergrößten Opfer, und das alles nur für dich und die Kinder! Da kann ich doch wohl erwarten, daß das Essen pünktlich auf dem Tisch steht, wenn ich nach einem harten Arbeitstag nach Hause komme!«
»Aber Herbert, das Essen stand ja pünktlich auf dem Tisch! Wer nicht pünktlich bei Tisch erschien, warst du!«
»Ja, ja!«
»Du, Herbert! Du allein warst unpünktlich! Das Steak kann überhaupt nichts dafür, daß es kalt ist. Mein Essen stand pünktlich auf dem Tisch!«
»Ja, ja!«
»Und?! Bist du nun fertig mit dem Essen, oder nicht?«
»Nun hetz mich doch nicht so, Trude!«
»Trink einen Schluck Milch, Herbert, das beruhigt die Nerven.«
»Aber die ist ja abgelaufen!«
»Laß mal sehen.« Trude riecht an der Tüte.
»Abgelaufen!« wiederholt Herbert mit vorwurfsvollem Blick.
»Die geht noch. Stell dich nicht so an!«
»Früher warst du viel netter zu mir!«
»Früher gab´s auch noch die D-Mark, Telefonzellen und eine ordentliche Rechtschreibung. Heute gibt´s Mobiltelefone, die Währungsunion und Bücher zum Runterladen. Die Zeiten ändern sich.«
»Früher war alles besser!«
Der Mensch ist eine tragisch-komische Figur, die sich durch eine Fülle von ernstzunehmenden Gefühlen auszeichnet. Der Mensch kann das Glück zu leicht und den Schmerz zu schwer nehmen, in Selbstmitleid versinken und seine Sehnsucht verleugnen. Der Mensch kann sich über die Gefühle eines anderen Menschen lustig machen, um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Doch niemals wird er sich vollends von seinen Gefühlen distanzieren können.
Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.
Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.
Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wollte.
Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch den Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie auch Kultur, Kunst und Wissenschaft.
Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen geradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich immer drei Nummern gröber zu verfahren als man es gerade noch für möglich hält.
Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die anderen auch nicht.
Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist dann wenigstens für diese Zeit sicher, daß er nicht davonläuft. Manche verlassen sich auch auf den Charakter. [...].
Schwache Fortpflanzungstätigkeit facht der Mensch gern an, und dazu hat er mancherlei Mittel: den Stierkampf, das Verbrechen, den Sport und die Gesichtspflege.
Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden. Doch hat noch niemand sich selber beherrscht; weil der opponierende Sklave immer mächtiger ist als der regierungssüchtige Herr. Je- der Mensch ist sich selber unterlegen. [...].
Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse.
Aus: Tucholsky, Der Mensch
Gefühle ändern nicht ihren ursprünglichen Charakter (Trauer bleibt Trauer, Haß bleibt Haß, Eifersucht bleibt Eifersucht, etc.), wohl aber ändern sich Beständigkeit und Verfügbarkeit von Gefühlen innerhalb einer Liebes- oder Freundschaftsbeziehung.
»Wohin?« ist ein erdachtes (Selbst-)Gespräch, das mit Trauer und Fassungslosigkeit das Ende einer Liebesbeziehung »umfragt«. In nur acht Zeilen kommt es unaufhaltsam zu einem »Entgleiten« der Gefühlswaage, wobei der Leitgedanke um die Wandlungsfähigkeit der Gefühle kreist.
Das menschliche Bedürfnis, Gefühle festhalten und in ihrer Intensität »konservieren« zu wollen, ist nahezu unerfüllbar. Die »Verfallsdaten« unserer Gefühle entziehen sich unserer Kenntnis und unserem Einfluß.– Gefühle sind nicht berechenbar. Und eben für diese Unberechenbarkeit machen wir allzu leicht die Zeit verantwortlich.
Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift.
Ernst Jünger
»Wohin?« zeigt eine Aneinanderreihung unbeantworteter Fragen. Der Leidensdruck des lyrischen Ich äußert sich in der jeweils ersten Frage der vier Strophen. Die zweite (rhetorische) Frage nimmt die Antwort vorweg. So beklagt das lyrische Ich den unaufhaltsamen Wandlungsprozeß, der ihm den »Blick« und das »Gefühl« (Zeilen 1 und 3) des Partners entzieht. Der absehbare Rückzug des geliebten Menschen versetzt das lyrische Ich in einen Zustand von ohnmächtiger Trauer. Seine Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt und die Situation »entgleitet« ihm zusehends. Schlußendlich steht das lyrische Ich der unausgesprochenen Veränderung hilflos, aber hoffnungsvoll gegenüber.
Eine Liebesbeziehung ist der Zusammenschluß zweier Fremder, die in verliebter Euphorie einer (Sinnes-) Täuschung unterliegen, welche sich »im Laufe der Zeit« als Tatsache erweist. Löst sich diese Täuschung auf, folgt entweder die Trennung oder die Erneuerung der Beziehung auf der Basis einer bewußten Toleranz »des Andersartigen«.
Der Begriff »Entfremdung« ist schon deshalb irreführend, weil er den Vorgang des emotionalen »Entgleitens« beschreibt, statt die Tatsache der Andersartigkeit zweier Menschen in ihrer Wesenheit zu bezeichnen. Die Entfremdung ist eine versteckte Tatsache, die sich im Zuge eines verblassenden Verliebtheitsgefühls als Fremdsein manifestiert.
Weder Sehnsucht noch Selbstzweifel noch Selbstbetrug vermögen die Eigendynamik emotionaler Prozesse aufzuhalten. Ratsam wäre es, die sich anbahnende Veränderung zu akzeptieren und auf diese positiv einzuwirken, statt sie zu blockieren. Das Bestreben, ein Gefühl (von Liebe oder Glück) festhalten zu müssen, beschleunigt den Prozeß der Veränderung seiner Ausdrucksform.
Die Einschätzung der subtilen Wandlungsvorgänge, die den Stand der Entwicklung einer (Liebes-) Beziehung bestimmen, erfordert ein sensibles Zeitgefühl. Es ist das feinsinnige Zeitgefühl, das aus Liebe entsteht.
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Leseprobe aus DIE BLAUE WELLE, Kapitel 2:
Veratmete Zeit
Beflügelte Schwermut
umhüllt
die Liebenden
als Schleier der Unendlichkeit.
Zärtliches Wissen
verdammt
die Reisenden
mit sanfter Umarmung
zu sterblicher Vergänglichkeit.
Sekundenschnell
erglüht
im Hoffnungsfeuer
der schimmernde Glanz
veratmeter Zeit.
Dimensionen später
sind wir
gelebte Unsterblichkeit.
II. Veratmete Zeit
Die Zeit hat sich im Zuge der rasanten Entwicklung unserer Gesellschaft zu einem kostbaren Gut entwickelt. - Nun laufen wir Gefahr, sie zu »veratmen«, ohne ihre Natur zu begreifen.
Die Zeit hat in Wirklichkeit keine Einschnitte, es gibt kein Gewitter oder Trompetengetön beim Beginn eines neuen Monats oder Jahres, und selbst bei dem eines neuen Säkulums sind es nur wir Menschen, die schießen und läuten.
Thomas Mann
Eine »beflügelte Schwermut« umhüllt die Liebenden in dem Moment, der sie einen gemeinsamen, melancholischen Gedanken teilen läßt. Gefangen in der Vorstellung, die Zeit (der Liebe) ließe sich nicht festhalten, sind sie zu »Reisenden« verdammt.
Liebe ist Lebensenergie, und Energie ist unvergänglich. Ist Liebe also in der Tat unsterblich? Und ist das Gefühl, das wir für sterbliche Liebe halten, tatsächlich nichts weiter als das Überbleibsel unseres armseligen Besitzdenkens, das wir durch die »Zugabe« eines Minimums an Zärtlichkeit in Liebe zu verwandeln suchen? Im Bewußtsein der Vergänglichkeit alles Lebendigen möchte sich der Mensch – wenigstens für das Gefühl der Liebe – Unsterblichkeit wünschen.
Die zweite Strophe bringt die Reisenden in sanfte Berührung mit »sterblicher Vergänglichkeit«. Aus Liebenden sind nun Zeitreisende geworden, die durch »zärtliches Wissen« (durch die Erinnerung an Wesentliches also) »verdammt« sind zu »ewigem Leben«. Selbst das »zärtlichste« Wissen hat seinen Preis, nicht nur in der Poesie.
Jede Erinnerung ist eine körperlose Zeitreise in die Vergangenheit. Die Erinnerung ist diejenige Zeit, welche die Vergangenheit mit der Gegenwart verschmelzen läßt. Die Erinnerung eines Menschen ist ein Teil seiner »beseelten« Vergangenheit, und die Vergangenheit erscheint ihm als das Trugbild seiner Vergänglichkeit. Im Traum können wir sogar die Zukunft bereisen. Im Zustand des Erwachens verwandelt sich der Traum in eine (scheinbar paradoxe) Erinnerung an die Zukunft. So hinterlassen unsere Träume bewußte oder unbewußte Erinnerungen, die wir der Zukunft zum Geschenk machen sollten.–
»Sterbliche Vergangenheit« verwirklicht sich als eine totgeglaubte Erinnerung, nämlich durch das Vergessen. Vergessen wir die Vergangenheit, so besiegeln wir vergessend ihr Schicksal. Aus der sterblichen Hülle des Vergangenen entstehen Gegenwart und Zukunft zugleich. Es entsteht das neue, das unvergängliche Wesen der Zeit.
Kann die Zeit selbst zeitlos sein?
Zeitreisende sind in jeder Zeit existent und damit unsterblich. Ihr »zärtliches Wissen« entschleiert das Mysterium der Unsterblichkeit und beraubt die Reisenden ihrer Vergangenheit: Das Vergangene wird durch Wissen »begehbar« und damit wandelbar. Eine variable Vergangenheit bleibt nicht die, die sie war – indem sie sich verwandelt, verändert die Vergangenheit ihr zukünftiges Gesicht.
Vergänglichkeit ist das Privileg der Zeit. Sterbliche Vergänglichkeit ist nichts anderes als Unendlichkeit. Es ist das Wissen um die Endlichkeit der Sterblichkeit, das die Reisenden verdammt, denn Unvergänglichkeit ist auch der Preis der Liebe.
In der dritten Strophe existiert die Zeit als diejenige Qualität, welche durch ihre Passagiere »veratmet« wird: Die Zeit wird durch das Leben ein- und ausgeatmet: Atmet das Leben die Luft des Jetzt, so manifestiert sich die zeitliche Gegenwart, also die Gegenwart der Zeit. Atmet es den Äther der Vergangenheit, so erscheint diese. Und die Zukunft »erglüht« als das »Hoffnungsfeuer« im Atem des Lebens.
Die Hoffnung ist derjenige Teil der Zukunft, der sich auf das Zukünftige ausrichtet, wohl aber in der Gegenwart entspringt. Somit ist die Hoffnung ein auf die Zukunft gerichteter »Gefühlspartikel« derselben.
Stellen wir uns die Zeit als einen »Atemzug« des Lebens vor, so entspricht dieses Bild der gängigen, nämlich quantitativen Auffassung von Zeit. Die Zeit trennt Geburt und Tod durch einen einzigen Atemzug. Das Leben veratmet die Zeit – die Zeit veratmet das Leben. Damit übernimmt die Zeit eine maßgebliche Reinigungsfunktion im Stoffwechsel des universellen Seins. Mit jedem Atemzug nimmt sie einen Teil unserer Wirklichkeit in sich auf, hält ihn für einen Augenblick in sich verborgen, um ihn sodann auszuatmen.
Es gibt Augenblicke im Leben eines jeden Menschen, die ihm besonders wertvoll erscheinen. So unterscheiden wir Zeitpunkte, die wir für »angemessen« halten von jenen, die uns »unangemessen« erscheinen. Anhand ihrer »Güte« bescheinigen wir der Zeit eine Beschaffenheit, die einer Fähigkeit gleichkommt. Wie aber entscheidet die Zeit, wann und wem sie ihr »wohlwollendes Gesicht« zeigt? Zeigt sie gewisse »Vorlieben« für Ereignisse oder Abschnitte unseres Lebens? Zeugt die sprichwörtliche »Laune« der Zeit womöglich von ihrer hartnäckig verkannten und/oder verleugneten Emotionalität?
Die Zeit läßt Ereignisse »in Erscheinung« treten. Was passiert, wenn wir uns einen bestimmten Anlaß, z. B. einen Geburtstag, herbeiwünschen? Wir warten auf das gewünschte Ereignis. Im Prozeß des Wartens zeigen wir unsere Geringschätzung für den gegenwärtigen Augenblick, da wir unsere Aufmerksamkeit auf künftige Zeitpunkte verlagern. Auf diese Weise »verärgern« wir die Zeit, die sich sogleich ausdehnt, um unsere Beachtung zu erlangen. Sobald wir aber den ersehnten Zeitpunkt erreicht haben, setzt die Zeit ihr »beleidigtes Gesicht« auf und verrinnt mit Sekundenschnelle.
Dieses Beispiel verdeutlicht, daß die Zeitqualität von ihrem Ausmaß untrennbar ist. Wir etikettieren Zeitpunkte mit Hilfe von Zahlen und erwarten, daß die Zeit die Ereignisse an eben diesen »Daten« vorüber tragen wird. Derweil schwächt das Warten unsere Wahrnehmung, und sobald das ersehnte Ereignis endlich »da« ist, hört es augenblicklich auf, besonders zu sein.
Ist die Zeit bestechlich? Läßt sich ihre Gesinnung in und mit Liebe lenken? Können wir sie beeinflussen oder »in Stimmung« bringen, indem wir ihr Energie in Form von Liebe zuführen? Läßt sich die Zeit durch die Zufuhr von Energie urbar machen?
In als besonders intensiv erlebten Augenblicken öffnet die Zeit eines ihrer »Fenster«, damit wir mit ihr eins sein können. »Sekundenschnell« wie das Aufblitzen eines Meteoren verglüht der Augenblick, in welchem die Zukunft (»gerichtete Hoffnung«) und die Vergangenheit (»veratmete Zeit«) aufeinandertreffen und als Momentaufnahme der Ewigkeit das Leben reflektieren: In einem einzigen, poetischen Moment sieht ein Sterbender sein Leben als Sternschnuppe am Nachthimmel vorüberziehen. In kaum einer Sekunde erglüht der Liebende in Hoffnung und in Erinnerung zugleich. So erweitert er mit nur einem einzigen Lidschlag den Augenblick zur Ewigkeit.- Ein Schnappschuß verewigt die gesamte Evolutionsgeschichte als »erlebte Unsterblichkeit«.
[Eine] Symbolik der Zeit findet sich in allen Hochkulturen. Die Ägypter kannten einen Gott der endlosen Zeit [...], den knieenden Gott Hah oder Heh, dessen Bild auch das Zeichen für eine Million darstellt. Im alten Persien finden wir den Zeitgott Zervan, in Indien die zerstörende Göttin Kali als Göttin der Zeit,
in Griechenland Chronos-Kronos. Den Gott des rechten Augenblicks und des richtigen Zeitpunkts, den Kairos, verehrten die Griechen unter dem Bild eines schönen Jünglings, um zu zeigen, daß alles Rechtzeitige blühend und schön ist bzw. daß Rechtzeitigkeit und Schönheit zusammengehören. [...].
Im Mittelalter tritt, wohl in Anknüpfung an den antiken Janus bifrons, eine Symbolisierung der Zeit durch eine Gestalt mit drei Gesichtern auf, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bedeuten sollen. Auch das in Indien auftretende Zeitrad (kalacakra) ist im Mittelalter bekannt, das von einer Frau, der Mutter Natur oder der Fortuna, gedreht wird und so auch das Glücks- bzw. Lebensrad bedeutet. [...].
Eine allegorische Darstellung der Zeit dient seit der Renaissance zur Illustration der Sentenz »veritas filia temporis«: die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit. [...].
Die in der symbolgeschichtlichen Literatur häufig vollzogene Gleichsetzung des Kreissymbols mit dem antikheidnischen Geschichtsdenken und des Pfeilsymbols mit dem eschatologischen Zeit- und Geschichtsdenken des Christentums ist nicht durchgängig historisch belegbar. Es gibt auch ein heidnisches teleologisches Geschichtsdenken und ein christliches Kreisdenken (Ausgang aller Dinge von Gott und Rückkehr zu ihm).
Aus: Lurker, Wörterbuch der Symbolik
Dimensionen, unendlich lang und doch so kurz wie Augenblicke, vergehen, bis wir die Zeit erleben und bis wir begreifen, daß die Zeit uns begreift. Die Zeit ist nicht bloß eine lineare Größe, die ins Unendliche anwächst. Die Zeit umspült das Leben, sie hüllt es ein. Wir sind von ihr umgeben, sie atmet als Teil des Erlebens in uns.
Die Zeit ist die Begleiterin des Lebens, nicht seine Gegenspielerin. Wenn wir der Zeit ein Fenster öffnen, klopft sie vielleicht im rechten Augenblick an unsere Tür ...
Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut.
Alfred Polgar
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Eifersucht
Ungestellte Fragen
in stahlkalter Rüstung
marschieren
durch das begehrliche Gemüt.
Sie liebt mich,
liebt sie mich?
Sie fühlt mich,
fühlt sie mich?
Metallene Sohlen
mit fragenden Zeichen
zertrampeln
das einst so weiße Blütenmeer.
Sie liebt mich.
Sie fühlt mich.
Sie liebt mich,
betrügt sie mich?
Sinnliche Unschuld
durch schallendes Schweigen
arglos
sich verrät.
Sie liebt dich.
Sie fühlt dich.
Sie liebt dich,
und doch - vergibt sie dir nicht.
XIII. Eifersucht
Eifersucht enthält mehr Eigenliebe als Liebe.
Francois de la Rochefoucauld
Die Eifersucht ist eine fragwürdige Empfindung. Die graduelle Ausprägung der Eifersucht (und damit ihre Auswirkung auf die betroffenen Menschen) läßt sich nur schwer kontrollieren. Daher befinden sich sowohl der Eifersüchtige selbst als auch seine »Zielperson« in einer opferähnlichen Lage: Der »geliebte« Mensch wird im Verlaufe einer von Eifersucht überschatteten Beziehung seine vertrauensvolle Unbefangenheit gegen ermüdende bzw. zermürbende Rechtfertigungsstrategien eintauschen (müssen), während der Eifersüchtige taktisch damit beschäftigt bleibt, das eigene Selbstwertgefühl zu reduzieren.
Versteht man die Eifersucht als eine übersteigerte Variante der Liebe, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zeitpunkt eine solchermaßen »entartete« Steigerung an ihre Grenzen stoßen muß. Die Eifersucht entspringt aus dem verständlichen Wunsch, geliebt zu werden. Unter ungünstigen Umständen kann die eifersüchtige Persönlichkeit diesen Wunsch proportional zu seiner Erfüllung steigern, bis aus seiner eifersüchtigen Stimmungslage eine »Sucht« entsteht.
Ein bißchen Eifersucht ist das Salz in der Suppe. Aber man kann bekanntlich eine Suppe auch versalzen.
Alberto Sordi
Die Eifersucht ist eine »Suche« nach Zuneigung, welche sich durch die (entartete) Phantasie des »Süchtigen« beflügeln läßt, ohne dabei nach faktisch begründeten Antworten Ausschau zu halten. Ihr stärkstes Motiv ist die Angst. Vordringlich ist es der Mangel an Selbstvertrauen, der die Handlungsweise des Eifersüchtigen bestimmt.
Überrannt durch ein geradezu übermächtiges »Fragenheer« sieht sich das lyrische Ich außerstande, die wesentlichen Fragen sich selbst zu stellen, also fragend zu beantworten. Ungehindert marschieren Fragen über Fragen in »stahlkalter Rüstung« durch sein verunsichertes Gemüt. »Begehrlich« verschwimmt die Grenze zwischen sehnsuchtsvoller Suche und übersteigerter Sucht. Währenddessen nimmt der »Eifer« des »Süchtigen«, welcher auf die Kontrolle des Partners gerichtet ist, pathologische Züge an. Das angestaute Selbstmißtrauen manifestiert sich als quälendes Begehren: Der von Eifersucht befallene Partner manövriert die Beziehung in einen sich selbständig mobilisierenden »Kriegszustand«, der das »einst so weiße Blütenmeer« unter sich begräbt.
Nach biblischer Symbolik verkörpert die Blume »Lieblichkeit und irdische Schönheit«. Allgemein gelten Blumen, entsprechend ihrer kelchartigen Form, die »den Gaben und der Aktivität des Himmels« zugewandt ist, als Zeichen des passiv-empfangenden Prinzips. Die Gräber der frühen Christenheit, die sich oft inmitten eines Gartens befanden, wurden mit frischen Blumen sowie mit deren Darstellungen geschmückt, um damit das Bild des blühenden Paradiesgartens zu beschwören. Aufgrund ihrer Zartheit versteht sich die Blume als Zeichen vergänglicher Schönheit, die mit dem flüchtigen Charakter der Unbeständigkeit assoziiert wird. Der spanische Dichter und Mystiker Juan de la Cruz (1542-1591) verstand die Blume als Bild der Seelentugenden; den Blumenstrauß sah er als Zeichen der geistigen Vollkommenheit.
Die Farbe Weiß steht nicht nur plakativ, sondern in diesem Zusammenhang geradezu klischeehaft für »Unschuld« und »Reinheit« (des Gewissens). Das »einst so weiße Blütenmeer« (mit anderen Worten: das überlebens- und »überliebenswichtige« Vertrauen) ist in der dritten Strophe beinahe restlos »zertrampelt«, und die Beziehung leidet zusehends unter der militaristischen Last »metallschwerer« Fragezeichen. Obwohl das lyrische Ich in einem einsichtsvollen Augenblick zu erkennen scheint, daß seine Eifersucht unbegründet ist (vierte Strophe: »Sie liebt mich. / Sie fühlt mich.«), ist es nicht in der Lage, diese Erkenntnis auf seine Beziehung zu übertragen. In der letzten Zeile der vierten Strophe nimmt der Rückfall des Eifersüchtigen in seine Sucht (»[...], / betrügt sie mich?«) Gestalt an.
Und sie, die »sinnliche Unschuld«, unternimmt nicht einmal den Versuch, das lyrische Ich durch (ohnehin sinnlose) Erklärungen zu beruhigen. Ihr Schweigen wirkt nicht umsonst »schallend« auf den Eifersüchtigen, der die ausbleibende Rechtfertigung des Partners / der Partnerin im Sinne eines »Verrates« interpretiert.
In dieser Situation festigt sich die seitens des Eifersüchtigen als »Schuldeingeständnis« mißdeutete, schweigende Fassungslosigkeit des »geliebten« Menschen. Vor dem Hintergrund des »mit Füßen getretenen« Vertrauens wächst die Spannung zwischen den Partnern in der fünften Strophe dramatisch an: »[...], und doch - vergibt sie dir nicht.«.
Die innere Entfremdung der Partner hat sich gegen Ende des Gedichtes längst »vollstreckt« bzw. manifestiert (s.S. 100), die äußere Trennung steht unmittelbar bevor. Der Wechsel in die distanziert-enthobene Fremdperspektive, welche in der letzten Strophe des Gedichtes eine neutralere Beurteilung der Situation anbietet, besiegelt den Eindruck des irreparablen Gescheitertseins der Zweisamkeit.
Die Identität der »sinnlichen Unschuld«, die das lyrische Ich innerhalb seiner eifrigsüchtigen Gedankenwelt zu inspirieren scheint, bleibt bis zur letzten Silbe ungeklärt. Ist »sie« etwa die Eifersucht selbst? Oder handelt es sich um eine ganz bestimmte Frau, die sich in den Augen des lyrischen Betrachters durch ihr Schweigen »verrät«? Das Wesen der Eifersucht bleibt undurchschaubar.–
Die Eifersucht ist die geistreichste Leidenschaft und trotzdem noch die größte Torheit.
Friedrich Nietzsche
Die Eifersucht darf sich mit Nachdruck geistreich nennen, beflügelt sie doch den phantastischen Eifer des leidenschaftlich nach Erfüllung Suchenden.
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Ein ungleiches Paar
Die Liebe ist mein Leben,
Hoffnung erlebt mich.
Hoffnung ist meine Wahl,
die Liebe entscheidet mich.
Die Liebe ist mein Honig,
Hoffnung versüßt mich.
Hoffnung ist meine Luft,
die Liebe erfüllt mich.
Die Liebe ist mein Blut,
Hoffnung trinkt mich.
Hoffnung ist mein Herz,
die Liebe bricht mich.
Liebe ist mein Tod.-
Meine Hoffnung stirbt mit mir.
XI. Ein ungleiches Paar
Liebe und Hoffnung bilden in diesem Gedicht zwei »Ufer«, die durch einen schmalen Steg miteinander verbunden sind. Sobald das lyrische Ich einen seiner »Häfen« verläßt, nähert es sich dem anderen. Der Hoffende betrachtet die Liebe von einem entfernt gelegenen, jenseitigen Standpunkt. Hoffnung ist die aus einer Distanz heraus empfundene Bereitschaft zur Liebe. Wer wahrhaft liebt, bedarf seiner Hoffnung nicht.
Liebe ist alles, was unser Leben steigert, erweitert, bereichert. Nach allen Höhen und Tiefen. Die Liebe ist so unproblematisch wie ein Fahrzeug. Problematisch sind nur die Lenker, die Fahrgäste und die Straße.
Franz Kafka
»Ein ungleiches Paar« beschreibt die erdachte Gratwanderung des Erzählenden zwischen den zwei benachbarten »Ankerplätzen« Liebe und Hoffnung. Trotz ihrer gemeinsamen »Gefühlsherkunft« können Liebe und Hoffnung unabhängig voneinander oder einander ergänzend wirken. Der innere Gefühlsstrom fließt – je nach Gemütsverfassung und Lebenssituation des Erlebenden – einmal der Hoffnung und ein anderes Mal der Liebe entgegen. Je näher und je erfüllter wir unsere Liebe erleben, desto unscheinbarer gibt sich die Bedeutung der Hoffnung. Sind Liebe und Hoffnung also tatsächlich auch im Leben ein ungleiches, doch unzertrennliches Paar?
Die Hoffnung ist unsere Vorfreude oder besser: unsere Sehnsucht nach Erfüllung, während Liebe nichts anderes als die Erfüllung selbst sein möchte. Liebe gleicht dem »Blut«, das als Sinnbild des Lebens und als Symbol der Seele die auf »das Lebensglück« ausgerichtete Hoffnung »ernährt«.
Allein achte darauf, daß du das Blut nicht ißt; denn das Blut ist das Leben; darum sollst du nicht zugleich mit dem Fleisch das Leben essen, sondern du sollst das Blut auf die Erde gießen wie Wasser [...].
Die Bibel, 5. Buch Mose 12, 23
Liebe ist »Blut«, und »Blut« ist Liebe.– Verwendet man »Blut« und »Liebe« als Synonyme, erlangt die zitierte Bibelstelle eine nicht weniger interessante Bedeutung. Sinngemäß ergäbe sich: »Achte darauf, daß du die Liebe nicht sinnlos verzehrst; denn Liebe ist das Leben; darum sollst du die Liebe nicht wie Nahrung [als Selbstverständlichkeit] konsumieren, sondern du sollst die Liebe über die Erde verteilen wie Wasser«.
Demgegenüber heißt es im zweiten Buch Mose über die Verwandlung aller Gewässer in Blut:
[...] Und alles Wasser im Strom wurde in Blut verwandelt. Und die Fische im Strom starben, und der Strom wurde stinkend, so daß die Ägypter das Wasser aus dem Nil nicht trinken konnten; und es war Blut in ganz Ägyptenland.
Die Bibel, 2. Buch Mose 7, 20-21
Einerseits beschreibt die Bibel »Blut« als das Sinnbild des Lebens, welches an anderer Stelle als erste der »zehn Plagen« das Leben verdrängt. Im 3. Buch Mose wird ihm wiederum eine »entsühnende« Funktion zugeschrieben:
Denn des Leibes Leben ist im Blut, und ich habe euch für den Altar gegeben, daß ihr damit entsühnt werdet. Denn das Blut ist die Entsühnung, weil das Leben in ihm ist.
Die Bibel, 3. Buch Mose 17,11
Blut, Leben und Liebe sind nicht nur im biblischen Sinne eng miteinander verbundene Größen. Der ihnen gemeinsame, vitale Charakter unterscheidet sie von der zwar (ziel-)gerichteten, aber insgesamt passiven Hoffnung. Das Gedicht vermittelt die Bedeutung der Hoffnung als eine mögliche »Wahl«, welche durch die (aktive) Einwirkung der Liebe »entschieden« wird. Die Hoffnung erhält sich in ihrer Eigenschaft als Gefühl am Leben, indem sie Liebe »trinkt«, statt mit ihr »eins« zu werden. Wenn das Leben bzw. das Lebewesen, welches die Liebe in sich trägt, stirbt, so muß schlußendlich auch die Hoffnung »ausbluten«.
Ergo dürfen wir die Hoffnung zwar als eines der lebensbegründenden Gefühlselemente skizzieren; für sich allein vermittelt die »hoffnungsvolle Luft« jedoch eine Atmosphäre der Unbeständigkeit. Erst in Anwesenheit von Liebe erlangt die Hoffnung ihre Bedeutung und, was wesentlich ist, ihre Richtung. Im Schatten der Liebe erscheint die Hoffnung schlicht und blaß (formal fehlt ihr zudem der bestimmte Artikel). Dennoch hält sie »die Welt«, bzw. den liebesfähigen Gesamtorganismus durch ihre Beständigkeit zusammen.
Als Automatismus gewährleistet der »Herzschlag der Hoffnung« das Strömen des Blutes durch den Körper. Das schlagende Herz allein richtet jedoch wenig aus, solange ihm der rote Farbstoff des Blutes fehlt: Die Liebe »entscheidet«, »erfüllt« und »bricht«, denn sie ist der aktive Part. Die Hoffnung hingegen empfängt, sie »erlebt« und »versüßt« als »Sahnehäubchen«, was in sich schon »süß« ist, sie »trinkt«, um sich selbst am Leben zu halten und erleidet am Ende den Tod.
Das lyrische Ich stirbt in diesem Gedicht nicht den physischen, sondern den seelischen Tod: es versinkt in Seelenschmerz, der seinen Lebenswillen untergräbt und letztlich sogar den physischen Tod nach sich zieht: »Meine Hoffnung stirbt mit mir«. Das Sterben der Hoffnung ist kein bloßer Nebeneffekt, sondern die maßgebliche »Todesursache«.
Entferne die Hoffnung aus dem Herzen des Menschen und du machst ihn zum wilden Tier.
Ouida
Liebe bestimmt das Leben. Mögen wir aus Liebeskummer und Herzweh tausend kleine Tode erleiden – wir sterben nicht an den Folgen der Liebe, solange uns die Hoffnung bleibt.
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Titelbild: »Die versunkene Frau«, Originalgröße 60 x 80cm, Acryl auf Leinwand, Cara O´Phelí 1999.
»Die versunkene Frau« zeigt ein sogenanntes »Vexierbild«: Auf den ersten Blick ist eine Welle zu erkennen, die sich – ausgehend vom oberen, rechten Bildrand – in verschiedenen Blauabstufungen über die Leinwand ergießt. Bei näherer Betrachtung hebt sich im vorderen, rechten Bildbereich die Silhouette der in den Fluten versunkenen Schwimmerin ab: Ihr rechter Arm ist weit ausgestreckt und befindet sich außerhalb des rechten Bildrandes, das Haar unterschneidet als »kleine Welle« die aus der kleineren hervorgehende, große Flutwelle; das Gesicht der Schwimmerin ist seitlich angedeutet; die Rundungen des Frauenkörpers heben sich als dunkle Konturen nur wenig von dem tiefen Blau des unteren Bilddrittels ab.– Der große Brockhaus definiert das Vexierbild als »bildliche Darstellung, aus der man durch genaueres Betrachten eine andere herausfinden soll«.