Eros & Thanatos –Hintergrund und Entstehung

 

In »Eros & Thanatos« geht es nicht um die erste Liebe, sondern um die eine und einzige, romantische Liebe. Die Geschichte wirft eine zentrale Frage auf: Ist die große Liebe wirklich einzig? Und wenn ja, ist sie überhaupt erreichbar, also lebbar? Oder ist die große romantische Liebe nicht mehr als eine Idealvorstellung, die an den realen Bedürfnissen der Beteiligten scheitern muß?

Nach meiner Auffassung ist es die Kombination von geistiger Verbundenheit, emotionaler Nähe und einer erfüllten Körperlichkeit, die die große romantische Liebe ausmacht. Enthaltsamkeit spricht nicht selten für ein übertriebenes Schamgefühl, womöglich sogar für Verklemmtheit. Und genau aus diesem Grund »verordnete« ich meinen Figuren eine gehörige Portion Erotik. Eine intensive sexuelle Anziehung ist ein stark bindendes Element, birgt aber auch die Gefahr der Selbstaufgabe.

Und genau darum geht es auch in »Eros & Thanatos«: um den Schmerz, den eine intensive Liebe verursacht, es geht um die Leidenschaft, die, ebenso wie die Eifersucht, destruktive Elemente birgt. Die Protagonisten laufen ständig Gefahr, sich zu verlieren, sich als Individuen aufzugeben und im »du« zu versinken.

Die meisten Menschen verstellen sich auf die eine oder andere Weise. Sie versuchen, sich nach außen so gut wie möglich darzustellen, um anerkannt zu sein. Die Protagonistin möchte herausfinden, was an einem Menschen echt ist und was »Fassade«. Eine besondere Verlockung für Angelina stellt die dunkle, die gefährlich-destruktive Seite Bérards dar, von der sie sich einerseits abgestoßen, andererseits magnetisch angezogen fühlt. Die verborgene, dunkle Seite eines Geliebten zu entdecken und dennoch anzunehmen, ist eine Gratwanderung.

Im Jahr 2002, also während der Entstehung der phantastischen Vampir-Elemente, die nachträglich in die 2001 entstandene Haupthandlung eingefügt wurden, hatte ich Zweifel, ob mein Ansatz, die mystische Gestalt des Vampirs stark zu vermenschlichen, einer Veröffentlichung standhalten könnte. Immerhin entfernte ich mich deutlich von den gängigen Klischees, da meine Vampire gegen Sonnenlicht unempfindlich sind und mein »Hauptvampir« Bérard durch seinen Beruf als Arzt sogar im Dienste der Menschen tätig ist. Der mystische Blutsauger als melancholischer Vegetarier? Der blutsaugende Killer als liebendes Wesen, das mit allzu menschlichen Gefühlen und den daraus resultierenden Konflikten konfrontiert ist und über weite Strecken der Geschichte weich und willensschwach wirkt, statt stark und gefährlich zu sein?

»Eros & Thanatos« ist tatsächlich ein psychologischer Roman. Die Charaktere sind durch die inneren und äußeren Konflikte, die sie durchleben, gezwungen, eine Entwicklung zu durchleben. Anders als in einer sehr populären Vampirroman-Serie geht in »Eros & Thanatos« nicht um die romantische Verklärung der Enthaltsamkeit, sondern um das Wesen der Liebe mit all ihren Seiten, und dazu gehören auch (oder besonders?) die Schattenseiten.

 

Ursprünglich stammt das Wort Dämon vom griechischen »daimon« ab und heißt wörtlich übersetzt »Schutzgeist« oder »Schutzengel«. »Daimon« wiederum leitet sich vom griechischen »daimonion« ab (, was »Schicksal« oder »Gewissen« bedeutet), das den Menschen jederzeit unsichtbar begleitet.

Der Name der Shakespeare-Figur Desdemona (auch: Disdemona) ist sehr wahrscheinlich von dysdaimôn (= griech. »unglücklich«, »unter einem Unstern stehend«, »vom Schicksal verfolgt«) abgeleitet. Erst während des düsteren Mittelalters wurde das Wort »Dämon« ins Negative verklärt.

Wieso folgt Eros & Thanatos konzeptionell

dem Aufbau eines Dramas?

 

Ganz einfach: Ich liebe Shakespeare! Er ist mein absoluter Lieblingsautor, dem meines Erachtens bis heute kein anderer Literat das Wasser reichen kann. Nachdem ich als Kind meine Enid-Blyton-Phase hinter mir gelassen hatte, ging ich nahtlos zu Shakespeares Dramen über. Karl May durfte ich nicht lesen, Poe schon gar nicht, weil ich ein Mädchen war. Das hat mich damals sehr geärgert. Mein Vater fütterte mich lieber mit Matheaufgaben als mit Literatur. Er wollte meine Aufmerksamkeit in Richtung der Naturwissenschaften lenken, was auch funktionierte. Da aber meine Eltern gelegentlich über Literatur diskutierten, schnappte ich einige Worte über die zentralen Konflikte in Hamlet und Macbeth auf. Da ich aber die deutsche Übersetzung zu Hause nicht zu lesen bekam, weil ich angeblich zu jung war, stahl ich mich heimlich nach der Schule in die Landesbibliothek, um in Shakespeares englischen Originalwerken zu schmökern. Ich verstand zwar nicht alles, aber die Tatsache, daß ich gebürtige Australierin bin, schien hilfreich zu sein. 

Natürlich ist mir heute klar, daß Shakespeare fleißig in der Mythologie geräubert hat (wie übrigens auch viele, viele andere Autoren nach ihm). So basiert beispielsweise »Romeo und Julia« auf der antiken Sage von Pryamus und Thisbe (Ovids Metamorphosen), die Shakespeare auch als Quelle für den »Sommernachtstraum« diente und die auch ich bei meiner Recherche für »Eros & Thanatos« herangezogen habe. In der Frage der konzeptionellen Gestaltung tat ich mich anfangs schwer, entschied mich aber letztendlich für einen Aufbau, der sich stark am klassischen, griechischen Drama orientiert. Trotzdem, die Geschichte ist doch zu prosaisch, um dem klassischen Drama zu gleichen. Es ist eher ein Bildungsroman mit mit »poetischem« Einschlag. Die Zuordnung von »Eros & Thanatos« in ein bestimmtes Genre fällt also schwer. Handelt es sich womöglich um einen Liebesroman, angereichert mit Elementen der Phantastik? Eine postmoderne Interpretation des Mysterythrillers? Oder ist es ganz schlicht und einfach ein modernes Märchen um Liebe, Macht und Tod? Alles zugleich, und doch nichts von alledem. Die Geschichte läßt sich in kein Schema pressen, daher nenne ich »Eros & Thanatos« schlicht einen »poetischen Roman«.

Was ist ein »poetischer Roman«?

 

Bestehend aus einem prosaischen Grundgerüst, das mit Hilfe der eingestreuten Verssequenzen sein surreales Moment betont, (er)schafft der »poetische Roman« ein Ausdrucksforum, das seinen Figuren eine phantastisch-dramatische Perspektive eröffnet, ohne diese vorzugeben. Gegensätzliche Haltungen, die spannungserzeugend wirken, treten als innerseelische Konflikte oder als tragische Notwendigkeiten in Erscheinung. Das Individuum verliert sich in einer Welt, die ihm erlaubt, seine Bedürfnisse und Entscheidungen frei zu bestimmen. Damit wird das Individuum gezwungen, die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen »Istwelt« und »Sollwelt« für sich selbst zu definieren, an sich selbst zu messen und infolgedessen in sich selbst zu finden. Die Welt öffnet sich dem »Ich«, das »Ich« wird zur ganzen Welt, daher wird jede Entscheidungsfrage des Individuums zum Weltgeschehen. Von der »tragischen Not« des Einzelwesens ist es nur ein kleiner Schritt in die »tragische Notwendigkeit« des leidenschaftlichen Wollens. Ist die »tragische Not« selbstauferlegt, so wird die »tragische Notwendigkeit« zum inneren Drama.

Die märchenhafte Klarheit einer Weltordnung, die Gut und Böse zu trennen vermag, existiert nicht in einer prosaischen Welt. Sie existiert nicht in der Gegenwart. Ein Märchen ist derjenige Teil der Realität, den wir nicht wahrnehmen, den wir nicht für wahr nehmen wollen. –

 

Carola Hipper